Bahnpostfahrer

DDR 1980 Kurzfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
„Wer aber sind sie, sag mir, die Fahrenden, diese ein wenig Flüchtigern noch als wir selbst“: Mit Rainer Maria Rilkes fünfter Duineser Elegie, entstanden am 14. Februar 1922 im Château de Muzot im Schweizer Rhonetal, beginnt der 16-minütige Kurz-Dokumentarfilm „Bahnpostfahrer“, der nach der Uraufführung Ende November 1982 bei der 25. Int. Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche erst einmal ein Dreivierteljahr für weitere öffentliche Aufführungen gesperrt wurde.

Weil sein Titelheld, der Bahnpostfahrer Andreas, seine Sehnsüchte und Träume von individueller Freiheit offenbart, wenn er wie so häufig wieder einmal im Waggon allein – und zumal bei Nacht – unterwegs ist. Trotz mehrfacher Anfrage konnte der Film auch nicht bei den Oberhausener Kurzfilmtagen gezeigt werden, weil die Offiziellen in Ost-Berlin die Vorstellungen des jungen Mannes im Film mit den Forderungen der polnischen Solidarność-Bewegung in Verbindung brachten. Und überhaupt der Meinung waren: „Unsere Arbeiter träumen nicht.“

Bevor besagter junger Mann gebündelte Zeitungsstapel sortiert, wartet Martin Schlesinger mit zwei kleinen Schreckmomenten auf: Der Zug überrollt seine Kamera im Gleisbett und dann wird ein Auge ins Bild gerückt, das jedoch glücklicherweise nicht von einem Rasiermesser durchschnitten wird wie in der Anfangssequenz des ebenfalls 16-minütigen Kurzfilms „Un chien andalou“ des Surrealisten Luis Buñuel. Sondern auf einen Industrieschornstein vor roter Abendsonne blickt.

Während der Kessel der Dampflok mit Kohle aus dem Tender befeuert wird, träumt der Bahnpostfahrer von roten Lippen. Da er vornehmlich nachts unterwegs ist, scheint es Probleme mit seiner Freundin zu geben: Ein regelmäßiges Beisammensein an den Wochenenden ist offenbar nicht möglich. Andererseits erzählt er im fahrenden Zug, während er Briefe, Päckchen und Pakete in diverse Postsäcke sortiert, von der großen Kameradschaft der Kollegen, die auch nach Feierabend noch zusammenbleiben: „Absolut ‘ne Gilde für sich.“

In schwarz-weiße Dokumentaraufnahmen etwa von Bahnhöfen auf der Strecke hat Herwig Kipping, der selbst zwei Jahre vor Studienbeginn in dem Beruf gearbeitet hat, farbige Traumbilder geschnitten mit immer wiederkehrenden Motiven: Handflächen, Lippen, Haare, Blutstropfen. So ist ein vor allem surreal-essayistischer Film entstanden, der nur oberflächlich Einblicke in den Berufsalltag des Titelhelden gewährt.

Frisch digitalisiert wurde der von Uwe Struwe produzierte Film aus dem 2. Studienjahr der Potsdamer HFF am 2. Mai 2025 bei den 71. Int. Kurzfilmtagen Oberhausen aufgeführt. Herwig Kipping, dessen Diplomfilm „Hommage à Hölderlin“ 1987 in Mannheim gezeigt werden konnte, hatte sich immer wieder mit der Staatsmacht angelegt: abgebrochenes Mathematikstudium an der Humboldt-Universität Berlin, Zoff um verlangte Änderungen einer Dokumentation für Adlershof („Sechs auf dem Dach“), Ausschluss aus der SED. Aber dann doch u.a. bei Heiner Carow freiberufliche Tätigkeit im Babelsberger Spielfilm-Studio. Seine beiden Langfilme konnte der in Mayen geborene Bauernsohn und ausgebildete Betriebsschlosser erst nach der Wende realisieren mit dem in eine GmbH umgewandelten Studio: „Das Land hinter dem Regenbogen“ (1991) und, letzter Defa-Film überhaupt, „Novalis – Die blaue Blume“ (1993).

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Duration:
15 min
Format:
16mm, 1:1,33
Video/Audio:
Orwocolor, Ton

Titles

  • Originaltitel (DD) Bahnpostfahrer

Versions

Original

Duration:
15 min
Format:
16mm, 1:1,33
Video/Audio:
Orwocolor, Ton