Forschungen zum NS-Film – 1950er bis 1970er

Vom Ende der 1950er bis Ende der 1970er Jahre

Wie mit dem Filmerbe des "Dritten Reichs" umgehen? Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit etablierte sich mit dem Kriterienkatalog der alliierten Militärregierungen eine deutliche Haltung. Eine systematische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Rolle des Spielfilms im NS-Staat setzte nach vereinzelten früheren Publikationen verstärkt ab Ende der 1960er Jahre ein. Und sie durchlief in den folgenden Jahrzehnten eine durchaus kontrovers verlaufende Forschungsgeschichte.Als einer der wichtigsten Vertreter und Wegbereiter einer theoretischen Soziologie zum NS-Film, resp. seiner Vorgeschichte muß hier Siegfried Kracauer erwähnt werden, dessen einflußreiche Studie "Von Caligari zu Hitler" ("From Caligari to Hitler. A Psychological History of the German Film") bereits 1947 in den USA erschienen war und in einer ersten, unvollständigen deutschen Ausgabe Ende der 1950er Jahre unter dem Titel "Von Caligari bis Hitler. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Film" (Reinbek bei Hamburg, 1958) aufgelegt wurde. Mit den Untersuchungen von Gerd Albrecht ("Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung über die Spielfilme des Dritten Reichs, Stuttgart, 1969), Wolfgang Becker ("Film und Herrschaft", Berlin/West, 1973) und Jürgen Spiker ("Film und Kapital", Berlin/West, 1975) wurden wesentliche strukturelle und institutionelle Aspekte beleuchtet, wie Filme durch das NS-Regime zur Legitimation von Herrschaftsansprüchen eingesetzt wurden. Zahlreiche Publikationen zur Filmproduktion im "Dritten Reich" erschienen in der Folgezeit im In- und Ausland, die sich u.a. mit einzelnen Werken, Regisseuren, Schauspielern und wichtigen Genres beschäftigten.

 
Quelle: DIFNachlass Johannes Meyer
Carola Höhn, Joseph Goebbels, Otto Gebühr (vorne v.l.n.r.) bei den Dreharbeiten zu "Fridericus" (1936)

Im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses stand dabei lange Zeit vor allem die Frage nach der Definition des faschistischen Films, bei der sich die Forschung vornehmlich auf den Nachweis von Propagandaelementen konzentrierte. In den Beurteilungen wurden dabei jedoch oft die von den Nationalsozialisten erstellten Kriterien schlicht übernommen. Insgesamt traten in der Annäherung an die Thematik zwei sich diametral entgegenstehende Tendenzen in den Vordergrund, die für den zeitgenössischen Umgang mit der NS-Vergangenheit keineswegs untypisch waren:Einerseits interpretierten Vertreter einer ideologiekritischen Position die gesamte Filmproduktion im NS-Staat als manipulative Machwerke mit einer zentrale Funktion im Herrschaftssystem. So hatte sich z.B. der Filmkritiker und Filmemacher Erwin Leiser mit seinem Film und dem gleichnamigen Buch ""Deutschland erwache!" Propaganda im Film des Dritten Reichs" (""Deutschland erwache!" Propaganda im Film des Dritten Reichs", Reinbek bei Hamburg, 1968), in dem Filmzitate aus NS-Spielfilmen zur "Selbstentlarvung der NS-Propaganda" montiert werden, vehement gegen die Verharmlosung der scheinbar unpolitischen Spielfilme gewandt.Dem entgegen stand eine apologetische Haltung, die für eine Würdigung der Spielfilme des "Dritten Reichs" innerhalb der deutschen Filmgeschichte eintrat: Dieser, eher dem revisionistischen Lager nahestehenden Position zufolge handelte es sich bei diesen Filmen – bis auf die wenigen Ausnahmen sogenannter "Staatsauftragsfilme" mit ostenstativ propagandistischer Funktion – nicht um "Nazi-Filme". Vielmehr sei hier ein äußerst populäres und vor allem "unpolitisches" Star-Kino zu entdecken, das ein "Nischen-Dasein" unter der politischen Diktatur geführt hätte. Einige Autoren gingen dabei sogar soweit, die Filmindustrie als einen der wenigen Orte verdeckter Widerstandsnester im NS-Staat zu bezeichnen. Ein solche Position wurde nicht zuletzt durch ehemals in der NS-Filmproduktion Beschäftigte vertreten – so z.B. durch den Regisseur Arthur Maria Rabenalt in seiner 1958 erschienenen Publikation "Film im Zwielicht" ("Film im Zwielicht: über den unpolitischen Film des 3. Reiches und die Begrenzung des totalitären Anspruches", Nachdruck der Ausgabe 1958, Hildesheim, 1978).Diese widerstreitende Beurteilung der NS-Filme, der Disput zwischen der Tendenz zur enthistorisierenden Würdigung als Klassiker einer- und der Gesamtverurteilung anhand einer durch das Systemumfeld definierten Analyse andererseits, prägte den Diskurs bis weit in die 1980er Jahre hinein. Anfang der 1990er Jahre sollten neue Ansätze Bewegung in die Debatten bringen.