Die Schauspielerin

DDR 1987/1988 Spielfilm

Lichtschimmer in einem langen Tunnel


Hans-Jörg Rother, Film und Fernsehen, Berlin/DDR, Nr. 12, 1988

Notwendigkeit und Grenzen des menschlichen Rollenwechsels bilden ein Hauptthema im Schaffen Siegfried Kühns. Der schon legendäre, viel beachtete "Platow" (1973) zeigte einen Eisenbahner auf dem Weg der Erneuerung, "Die Wahlverwandtschaften" (1974) probierte den Umbau von Partnerschaftsbeziehungen, "Don Juan, Karl-Liebknecht-Straße 78" (1980) analysierte den Ausbruchversuch eines Künstlers. Traum vom Elch" (1985) skizzierte einen Rollenplan – den einer großen Liebe, für die alle Voraussetzungen fehlen. "Kindheit" (1987) schließlich spiegelte die halb träumerischen Verwandlungen eines Jungen an der Seite seiner komödiantisch veranlagten Großmutter. Schauspielern gehört zum Leben. Immer wieder will Kühn den Mut des einzelnen herausfordern, seine Subjektivität durch einen neuen Schritt zu entfalten und Freiräume für Träume zu schaffen.

Mit der Verfilmung von Hedda Zinners Roman "Arrangement mit dem Tod" (1984) ließ sich der Regisseur auf die Historie ein – die Zeit des Faschismus –, ohne damit seiner Konzeption untreu zu werden. Die Geschichte der Schauspielerin Maria Rheine sucht ihresgleichen (…)

Der Film folgt einem Szenarium von Regine Kühn, die in dem vielfältigen Geschehen, das Stoff für ein Melodrama hätte werden können, vor allem die Entscheidungssituation sah. Maria inszeniert ein gefährliches Spiel mit falschem Paß, Sonnenbrille und gefärbten Haaren, um Mark nicht zu verlieren. Zugleich ist sie auch in den Erfolg verliebt. Schon zu Beginn, als wir die Schauspielerin in der Garderobe probeweise die Rollen wechseln sehen, wird die Ambivalenz der Figur spürbar. Sie könnte Maria Stuart wie Elisabeth, Opfer wie Henker sein. Zuerst einmal verlangt ihre Vitalität nach Bestätigung auf der Bühne wie im Leben. Stark möchte Maria sein und beeindrucken. Ein Foto am Spiegel zeigt das Vorbild: Marlene Dietrich. Später erleben wir die Heldin noch einmal bei der Arbeit. Durch die Fenster ihrer Münchener Wohnung die kantigen, rhythmischen Bewegungen eines BDM-Mädchens, das einen faschistischen Weihespruch aufsagt, beobachtend, übernimmt Maria, ohne die dazu gesprochenen Worte zu verstehen, die Gesten für ihren Auftritt als Jungfrau. Erntet sie nicht gerade darum so viel Applaus, weil ihr Stil den in der Zeit liegenden Fanatismus ausdrückt? (…)


Man geht bedrückt aus diesem Film: Züge fahren in Richtung Ausland ab, obwohl die Menschen darin ihrer Heimat nötig wären. Es gibt eine trostlose Ankunft in einer trostlosen Stadt. Die Orte – gemeint sind Magdeburg, München und Berlin – ähneln einander durch die Tristesse der Straßen vom Anfang des Jahrhunderts. Die Unterkünfte wirken provisorisch, die Theater von der Hinterseite schäbig. Der beängstigend lange, verwinkelte Gang im Münchener Schauspielhaus findet seine Fortsetzung in dem Tunnel, durch den Maria ihrem weiteren Leben entgegengeht. Die Menschen müssen einen langen Tunnel passieren. Doch ein gemeinsamer Tanz der Horra macht die Nähe spürbar, die jeder braucht.

"Die Schauspielerin" läßt dem Zuschauer viel Denkarbeit übrig. Ob alle Absichten des Regisseurs aufgingen, sei dahingestellt. Es sollte nichts Bekanntes wiederholt werden, aber vielleicht ist die neue Sicht noch zu wenig ausgeprägt. Das "Arrangement mit dem Tod" hat im Buch eine größere, aufregendere Dimension. Immerhin lehrt der Film den bedenkenswerten Satz, daß die Identität bewahren bedeuten kann, die eigene aufzugeben, um sie erst zu gewinnen.

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