The Piano Tuner of Earthquakes

Großbritannien Deutschland Frankreich 2005 Spielfilm

The Piano Tuner of Earthquakes


Esther Buss, film-dienst, Nr. 17, 2006

Science Fiction und Fantasy sind Genres, die in der Regel vom Mainstream-Kino besetzt sind. Nur große Budgets machen den Einsatz neuester visueller Effekte möglich, und die haben nun mal vor langer Zeit die Herrschaft über die realitätsfernen Welten übernommen. Insofern erscheint es fast extravagant, wenn sich zwei Filmemacher, die ursprünglich aus dem Bereich des künstlerischen Animationsfilms kommen, dem fantastischen Film annähern, und das im klassischen Spielfilmformat. Jenseits aller Genrekonventionen suchen die Brüder Stephen und Timothy Quay in ihrem zweiten Langfilm an ihre früheren experimentellen Filme mit animierten Puppen bzw. Ballettfilme anzuschließen und diese buchstäblich "weiterzuspinnen". "The Piano Tuner of Earthquakes" verfolgt dabei einen genre-, medien- und gattungsübergreifenden Ansatz. Elemente der fantastischen Literatur und des Gothic, der romantischen und surrealistischen Kunst, des Theaters, der Oper und des Animationsfilms werden mit Motiven aus Mythen und Märchen zu einem opulenten Werk verbunden, das die Filmemacher selbst als "poetischen Science-Fiction-Film" bezeichnen. Angesichts der Überfülle an visuellem Material ist es freilich nicht immer einfach, dem komplizierten Plot zu folgen, der sich an einem verwunschenen Ort abspielt. Dorthin nämlich wird die Opernsängerin Malvina verschleppt, nachdem sie unmittelbar vor ihrer Hochzeit von dem besessenen Dr. Emmanuel Droz getötet wurde. Der Wissenschaftler führt eine herrscherähnliche Existenz: Statistenartige Bewohner, eine gleichermaßen verführerische wie eifersüchtige Haushälterin und eine Ansammlung obskurer Musikautomaten bevölkern sein abgeschiedenes Reich um die Villa Azucena, wo nun auch die von Droz wieder zum Leben erweckte Malvina als Untote ihr Dasein fristet. Ein argloser Klavierstimmer, der den Auftrag erhält, die Sammlung der Automaten zu warten, verliebt sich in Malvina und versucht, sie vor Droz’ Plänen einer "teuflischen Oper" zu retten.

Den Filmemachern geht es weniger um den Entwurf einer von der Realität getrennten Welt als vielmehr um die Verbindung verschiedener Wahrnehmungsebenen. Durch Unschärfen, eine differenzierte Lichtdramaturgie und eine immer wieder fragmentierte Erzählweise wird die verschwommene Atmosphäre von Traum und Unbewusstem erzeugt. Ein ausgetüfteltes Sounddesign aus irritierenden Klängen und opulenter Musik verstärkt diesen Effekt. Teilweise hat man das Gefühl, im halbwachen Zustand unmittelbar in die Welt eines Gemäldes einzutauchen. Tatsächlich stellte das berühmte Bild des Schweizer Malers Arnold Böcklin "Die Toteninsel" (1883) die Stilvorlage für die Atmosphäre des geheimnisvollen Anwesens des Dr. Droz dar. Das Setting ist in seiner Exotik zunächst sehr berauschend und erinnert eher an Bühnenkulissen als an die gängigen virtuellen Filmwelten und studioübliches Setdesign (obwohl auch hier mit digitaler Technik gearbeitet wurde). Alles ist künstlich und extrem stilisiert. Auch die Welt der Automaten fasziniert durch ihre "handgemachte" Anmutung, die theaterhaften Miniaturbühnen mit ihren animierten Puppen erwecken nostalgische Gefühle.

Die offensichtliche Vernarrtheit in visuelle Spielereien lässt jedoch die Bildebene immer wieder in puren Manierismus abkippen. Zudem werden Rhythmus und Dramaturgie des Films unter dem Overkill an Metaphern und Zitaten regelrecht erdrückt; die Figuren bleiben kraftlos und erwecken kaum Interesse. So wandeln die Schauspieler – Amira Casar als Malvina und Fassbinder-Darsteller Gottfried John als altersmilde Version eines "mad professor" – wie ausdruckslose Puppen umher, sagen schön klingende Texte und können doch jenseits ihrer ästhetischen Existenz kein Leben verströmen. Auch wenn die Brüder Quay anderes im Sinn hatten, ist ihr Film ein angestrengtes Kunstprodukt geworden. Was an digitaler Technik, populärer Bildsprache und großem Getöse ausgelassen wurde, gleicht sich durch den exzessiven, dabei aber immer feinsinnig wirkenden Einsatz von kulturellen Referenzen wieder aus. So ist "The Piano Tuner of Earthquakes" letztlich wie viele fantastische Filme ein Kino der Effekte. Das eingehende Zitat von Sallust, "Diese Dinge geschehen nie, sind aber immer", hätten die Brüder Quay vielleicht nicht ganz so überambitioniert umsetzen sollen.

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