Die keusche Susanne

Deutschland 1926 Spielfilm

Die keusche Susanne und ich


Willy Haas, Film-Kurier, 12.11.1926


Dagegen ist nichts zu sagen: wenn man überhaupt Operetten verfilmen soll, so kann man sie nicht anders, nicht besser inszenieren, als es Richard Eichberg tut. Und warum soll man sie nicht verfilmen? Lieber als den "Faust" (– unter uns gesagt). Warum ist man glücklich bei solch einem Operettenfilm?

Ich will von mir sprechen – und nehme an, daß das mehr oder weniger auf die paar Hundert, die gestern begeistert applaudiert haben, und auch die vielen Tausend, die es noch tun werden, zutrifft. Also: Seit sechs Jahren schon möcht’ ich gern mal einen Sonntagsausflug machen, auf einem Dampfer, im hellen Sonnenschein, zusammen mit so einem blonden Wuschelkopf, wie ihn die Harvey hat. Komme leider nicht dazu, bin zu beschäftigt. Seit drei Jahren möchte ich gern mal nach Paris fahren und in die Moulin Rouge gehen. Komme nicht dazu. Seit ich geboren bin, möcht’ ich gern mal im Sommer nach Deauville fahren. Immer, wenn ich in einem Magazin ein bathing girl photographiert sehe, nehme ich’s mir wieder vor. Komme nicht dazu – zu kostspielig. Ferner: ich möchte in einer Welt leben, wo alle fürchterlichen Verwicklungen des Lebens, alles, was sonst zu Katastrophen führt, alles, was manchmal mit Mord und Totschlag endet, nichts als komische Situationen ergibt: Untreue, Heuchlerei, vergifteter Ehrgeiz, Hysterie und so fort. Ich möchte in einem Staat leben, in dem die Polizei so gemütlich ist wie in den Operetten, in dem die Richter sich mehr um die Beine der Angeklagten kümmern, als um ihr Vergehen, und dem der Zustand der Pleite eine vorübergehende komische Episode ist. Und was die Lilian Harvey betrifft, so ist "möchten" schon der gelindeste Ausdruck für das, was die meisten Zuschauer männlichen Geschlechts vermutlich möchten; was, vice versa, sicher auch auf Willy Fritsch zutrifft.

Die Griechen nannten so was Elysium. Heute sind die Operetten so eine Art Elysium-Ersatz. Wer gesund, lebensfroh, sinnlich ist, kann nichts gegen Operetten haben. Wer will nicht glücklich sein? Alle wollen es; und fast alle im Wesentlichen auf die gleiche Art. Wer es nicht will, kann auch nichts von Kunst verstehen. Ich habe gegen Operettenfeinde schwerwiegenden Verdachte. Es sind meist Bildungsheuchler, vertrocknete Exaltados, Expressionisten, Pen-Clubmitglieder, mit einem Wort: Gerippe ohne Fleisch.

Es kommt also nur auf eines an: ob so eine Operette Lebensfreude verbreitet. Andere "Werte" gibt es hier nicht. Es ist ganz egal, ob das, was diese Lebensfreude verbreitet, ein Leierkasten oder eine hübsche Frau oder ein alberner Witz schlechten Ranges ist. Völlig Wurst und egal. Richard Eichberg weiß, was eine Operette ist; er ist ein ausgezeichneter Operettenregisseur. Er macht alles, was ihm einfällt, und eine ganze Masse, was ihm nicht einfällt; Ben Akiba hat sicherlich mal irgendwo einen Eichberg-Film gesehen, bevor er ein Philosoph wurde. Aber er macht es mit einer unverwüstlichen guten Laune. Kennen Sie den Zustand, wenn man sehr gut gegessen hat, einen sehr guten Wein getrunken hat und jetzt, nachher, eine Havanna raucht – ein Zustand, wo der andere den größten Kohl reden kann und man findet es doch nett, lustig, anregend? Das ist der Zustand "Richard Eichberg". Kurz, er kann Operetten inszenieren. … Gott segne Sie, Richard Eichberg, machen Sie weiter ihr Pi-pa-po. Sie machen die Menschen glücklich damit. Sie haben mir zwei sorg- und gedankenlose Stunden bereitet. Alle in dem Riesenraum waren Ihnen dankbar; auch ich.

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