Die Sehnsucht der Veronika Voss

BR Deutschland 1981/1982 Spielfilm

Die Sehnsucht der Veronika Voss


Hubert Haslberger, film-dienst, Nr.5, 09.03.82
Fassbinders neuer Film ist eine Fortschreibung seines Zyklus über die 50er Jahre, den er mit "Die Ehe der Maria Braun" (fd 21 181) und "Lola" (U 23 095) begonnen hat. Wieder ist es ein Frauenschicksal, in dem sich bundesrepublikanische Geschichte und Gesellschaft beispielhaft widerspiegeln soll, und wieder ist es ein Film, der gesuchte Popularität und formales Experiment, absichtliche Künstlichkeit und unerbittliche Gesellschaftskritik miteinander vereint.

Ein Sportreporter lernt eine faszinierende Frau kennen und verliebt sich in sie. Erst später merkt er: die Frau ist Veronika Voss, der ehemalige UFA-Star. Und langsam kommt er auch hinter das Geheimnis ihrer exaltierten Existenz. Veronika ist von ihrer Ärztin drogenabhängig gemacht worden – wohl in der Absicht, ihren Besitz an sich zu bringen. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin versucht der Reporter, der verbrecherischen Ärztin das Handwerk zu legen. Aber er zieht den kürzeren im Kampf gegen Profitgier und Niedertracht. Seine Geliebte wird ermordet und Veronika nimmt sich mit Schlaftabletten das Leben. Die Geschichte – frei nach dem Schicksal von Sybille Schmitz – klingt nach finsterer Kolportage, nach Seifenoper und Kintopp-Platitüde. Und von alledem hat der Film in der Tat etwas – nur, Fassbinder gelingt es wiederum, Triviales zu beispielhafter Bedeutsamkeit zu steigern. Er schildert die 50er-Jahre als eine Zeit, in der allein der Profit die "Moral" diktierte. Das Minus an wahrer Moral wurde durch vorgeschobene gesellschaftliche Formen und durch Kitsch kaschiert – eine Entwicklung, die nach Fassbinders Meinung auch heute noch nachwirkt und so manche aktuelle gesellschaftliche Mißstände plausibel macht. Die Unmoral einer rein merkantilen Weltsicht, den Triumph der falschen Gefühle – das wollte Fassbinder in "Lola" mit seinen übersteigerten Lutscherfarben ausdrücken. In seinem neuen Film erfüllt eine artifizielle Schwarzweißfotografie in etwa die gleiche kritische Funktion – nur ästhetisch erheblich wirksamer.

Was in "Die Ehe der Maria Braun" die überlagerten Tonebenen und in "Lola" die Farbdramaturgie war, das ist hier das blendnerisch effektreiche Licht der alten UFA-Schnulzen. Hartes expressives Punktlicht wechselt ab mit dem Einsatz von Effektlinsen, die Kerzenflammen wie Brillanten sprühen lassen; Fassbinder arbeitet mit weichen Konturen, Flackerlicht und einer fast manischen Vorliebe für Weiß, der sogar Zimmerpflanzen zum Opfer fallen. Alles taucht er in ein seltsam verfremdendes Kunstlicht, unterwirft es seinem despotischen Formwillen – und überschreitet dabei bisweilen auch die Grenzen zwischen Eindringlichkeit und Aufdringlichkeit. "Kitsch" und "Manierismus" verdeutlichen den ungelösten Zwiespalt zwischen echtem Leid und den falschen Kintopp-Gefühlen; ebenso irrlichtert auch Fassbinders Position zwischen Mitgefühl und Zynismus, zwischen Nähe und Distanz. Sein oft bekrittelter künstlerischer Stil ist imstande, diese Widersprüche einleuchtend festzumachen.

Wie heikel und zugleich delikat dieses ambivalente Konzept ist, wird vor allem auch in den Darstellerleistungen deutlich: Rosel Zech ist ganz exaltierte Diva, ein trauriger weißgeschminkter Clown, der nur im Augenblick der totalen Entblößung "menschlich" wird; Hilmar Thate ist sensibel aber zugleich auch fast lakonisch in seiner Verstörung, er wehrt sich zwar, scheint aber zu wissen, daß er in Wahrheit wehrlos ist; Cornelia Froboess hingegen ist temperamentvoll, listig, sympathisch – sie kämpft um die Wahrheit und um ihre Liebe. Zu alledem gesellt sich auch noch eine virtuos eingesetzte, teils komponierte teils kompilierte Musik, die Fassbinders ebenso experimentellem wie populärem Licht-Spiel sozusagen noch die akustischen Glanzlichter aufsetzt und es zu verstörend-betörendem Reiz steigert, wenn man sich zunächst bedingungslos auf diesen dekadenten Zauber einzulassen wagt.

Rechtsstatus