Die unendliche Geschichte

BR Deutschland 1983/1984 Spielfilm

Die unendliche Geschichte


Horst Peter Koll, film-dienst, Nr. 8, 17.04.1984

Daß für die bislang aufwendigste Leistungsschau bundesdeutscher Kinounterhaltung ausgerechnet Michael Endes Erfolgsroman herhalten mußte, hatte schon vor Drehbeginn der "Unendlichen Geschichte" zu Diskussionen geführt. Der Film selbst wird die Lager kaum versöhnen, ist doch die Kluft zwischen der vielschichtigen, zwischen verzauberndem Märchen und sozialkritischer (Über-)Lebensphilosophie angesiedelten Vorlage und dem handwerklich perfekten Film-Epos so tief, wie sie zwischen Literatur und Kino nur sein kann. Ohne Zweifel ist der Film die Reduktion des Romans auf eine vereinfachte, von einer Masse konsumierbare Aussage. Nichtsdestotrotz stellt die Geschichte auch in dieser "verarmten" Fassung noch eine bemerkenswerte Chance für das "große" Unterhaltungskino dar, die Wolfgang Petersen geschickt genutzt hat. Denn ähnlich wie Endes Buch nicht allein ein Erfolg wurde, weil es in die Zeit der Fantasy-Begeisterung fiel und bestimmte "zeitgeistliche" Stimmungen zu Sprache brachte, sondern weil es die lange Zeit vergessene Kunst des Geschichten-Erzählens erneuerte, ist der Film der berechtigte Versuch, dem erzählerischen Defizit bundesdeutscher Spielfilme entgegenzuwirken. Petersen protzt nicht selbstzweckhaft mit teuren Kulissen und komplizierter Technik, sondern stellt sie in den Dienst einer anrührenden Geschichte, deren optische Einfälle faszinieren.

Die Handlung entspricht lediglich der ersten Romanhälfte, was – hoffentlich – weniger auf die Absicht einer Fortsetzung als auf eine vernünftige Begrenzung auf das filmisch Machbare hindeutet: Bastian ist ein fantasiebegabter Junge, der sich nach dem Tod der Mutter mit seinem Vater allein zurechtfinden muß. Da er in sein Mathematikheft lieber Einhörner als Zahlen malt, mahnt ihn der Vater, nicht länger in Wolken zu schweben und sich seinen Problemen zu stellen. Diese warten in Gestalt gemeiner Mitschüler, vor denen sich Bastian eines Tages in eine Buchhandlung flüchtet, wo ein seltsames Buch seine Neugier weckt. Er stibitzt es, flüchtet auf den Dachboden seiner Schule und vertieft sich in die Welt der "Unendlichen Geschichte". Er erfährt von den Abenteuern des Jungen Atreju, der im Auftrag der Kindlichen Kaiserin durch Phantasien zieht, um das Land vor einer unheimlichen Gefahr zu retten: jedes Lebewesen und jedes Ding wird von einem großen Nichts in die absolute Leere gezogen. Lesend begleitet Bastian Atreju durch den Sumpf der Hoffnungslosigkeit zur uralten, weisen Morla, zum Südlichen Orakel, lernt den Glücksdrachen Fuchur ebenso kennen wie den grausamen Gmork, einen Diener jener Macht, die hinter dem Nichts steht. Und Schritt für Schritt begreift Bastian erstaunt und verschreckt, daß er ein Teil dieser Geschichte ist, daß ausgerechnet er Phantasien retten kann, weil er einer der wenigen Menschen ist, der nicht Träume und Fantasie verloren hat, wodurch dieses Land erst existiert. Aber Bastian muß sich dazu bekennen, muß seine Fantasie ernst nehmen und der Kindlichen Kaiserin einen neuen Namen geben.

Reduziert auf die einfachsten Grundzüge des Romans, hat der Film Raum und Zeit für die fantastischen Elemente der Geschichte, die mit verspielter Detailliebe ebenso wie mit sicherem Gespür für das, was ankommt, ausgeschmückt werden; der häßlich-komische Nachtalb, der mächtige Felsenbeißer oder der possierliche Glücksdrachen sind Attraktionen dieses Märchens, das nur eines beabsichtigt: den Zuschauer in Staunen zu versetzen, gewürzt mit Spannung und etwas Komik zu unterhalten. Und dies gelingt dem Film durchaus beeindruckend, weil er elegant und fast beiläufig seine gewiß nicht falsche Botschaft einfließen läßt: daß Fantasie und die Hoffnung auf eine mögliche Veränderung zum Guten lebensnotwendig sind. Dabei erreicht er in seinen schönsten Momenten sogar eine Annäherung an die Doppelbödigkeit der Vorlage, wenn er die eine dargestellte Welt in der anderen spiegelt, die Krankheit der einen als die Not der anderen zeigt und beides als die untrennbaren Seiten einer Medaille verdeutlicht. Dies sind freilich Andeutungen, die nie vertieft werden. Dominierend sind das perfekte Timing von Effekten, Spannung und Emotionalisierung, die man mit Sympathie genießen kann, bis das Ende doch noch einen Wermutstropfen beschert: Bastian begegnet der Kindlichen Kaiserin und muß das Land Phantasien durch seine Wünsche neu erschaffen. Und was wünscht er sich? Zunächst einen Rundflug auf dem Drachen ("Fliegen - das ist ja der helle Wahnsinn!", ruft er) und dann die Rache an seinen Mitschülern, denen er Angst einjagt. Dies entspricht recht ernüchternd der Lüge so manches Hollywood-Happy-Ends, nimmt dem vorher Entworfenen manchen Zauber, da nun plötzlich Fantasie als ungezügelte, vergessen-machende Macht mißbraucht wird. Gut, daß man im Roman nachlesen kann, wie beide Welten wieder gesund werden könnten.

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