Aus Liebe zum Volk

Deutschland Frankreich 2003/2004 Dokumentarfilm

Aus Liebe zum Volk

Die Staatssicherheit der DDR im Spiegel eines Dokumentarfilms


Silvia Hallensleben, epd Film, Nr. 4, 02.04.2004

Fast 15 Jahre nach dem Fall der Mauer findet die DDR verstärkte Aufmerksamkeit jenseits der westlichen Grenzen. Besonders die Staatssicherheit hat es den Nachbarn angetan: Nach "La Décomposition de l" âme" von Nina Toussaint und Massimo Ianetta (Belgien 2002) kommt jetzt mit "Pour l"amour du peuple" ("Aus Liebe zum Volk") von Eyal Sivan und Audrey Maurion eine deutsch-französische Koproduktion zum Thema ins Kino.

Während Toussaint und Ianetta meditativ ruhige Kamerafahrten durch das Stasigefängnis in Berlin-Hohenschönhausen als bildgebende Konstante nutzten, sorgt bei "Aus Liebe zum Volk" der treuherzig daherkommende Bericht eines ehemaligen Stasioffiziers auf der Tonspur für ein continuo parlando, unterbrochen von Klampfenstücken, Gesprächsfetzen aus Überwachungssituationen und ein wenig stimmungsgebender Musik. Dazu entfaltet sich auf der Bildebene eine abwechslungsreich geschnittene Montage von Schnipseln aus staatlichen Archiven und privaten Filmschränken, Überwachungskameras und Nachgedrehtem. Ein paar Dokumentarfilme wurden wohl auch geschreddert.

Zu sehen sind Plattenbauten und Auto putzende Männer, Verhöre und Protestaktionen, nachgestellte Durchsuchungen und Überwachungs-Screens. Immer wieder auch ein Schreibtisch im Ossi-Dekor mit himmelblauem Telefon, steifem Gummibaum und Dekortapete. Gelegentlich werden dabei Bildebene und Ton illustrierend kontrapunktiert. Wenn S. (so nennt sich der berichtende Stasimann) von seiner Familie spricht, sehen wir spielende Kinder, sein Bericht von der Überwachung eines Ausreisewilligen wird mit dem Überwachungsbild eines entsprechenden Stasiverhörs unterlegt. Wahrscheinlich sind es nicht S." Kinder. Bestimmt ist der Verhörte nicht der von S. erwähnte Mann. Aber hat das Verhör überhaupt je stattgefunden? Und in welchem Zusammenhang? Und der – von Axel Prahl mit etwas zu schauspielender Onkelhaftigkeit vorgetragene – Bericht des S. ist mit seiner biederen Sorge um Familienglück, Sicherheit und sozialistische Ordnung so exemplarisch spießbürgerlich gehalten, als wäre er auf dem journalistischen Reißbrett entstanden. Aber das ist eigentlich egal: Denn es lässt sich nicht viel mit einem Text anfangen, dessen Kontext und eventuelle Auftraggeber im Unklaren bleiben. Dabei beginnt man genau hier, neugierig zu fragen: Eine private Lebensbeichte? Letzter Dienstbericht an eine imaginäre Stelle? Auftragsarbeit für das Erinnerungsgeschäft?




Die Antworten, die wir uns geben mögen, bleiben in der Luft hängen. Und offensichtlich ist die Erzeugung solcher Unschärfe ein zentrales Anliegen des Films. Sivan und Maurion wollen die vorgeführten Bilder dem bedeutungsgebenden Kontext ihrer Entstehung entreißen, um so die "Vertrauensmaschine" zum Entgleisen zu bringen und Zweifel im Zuschauer zu säen, wie sie es in einer Konzeptbeschreibung nennen. Dabei gehen sie – fälschlich – von der "grassierenden Illusion" einer Alles-sehen-heißt-Alles-wissen-Haltung aus. Dabei ist es doch im Gegenteil eher der Skeptizismus, der grassiert. Und es ist die Verunsicherung durch die Flut beliebiger und einander widersprechender Bilder, die dem scheinbar Authentischen derzeit seine gesteigerte Bedeutung zukommen lässt und dem Überwachungsbild solche Authentizität zuspricht. Mit diesem Authentizitätsbegriff und seiner Herstellung könnte man sich sicher sinnvoll kritisch auseinander setzen. Doch Sivan und Maurion, die sich bei ihrem Eichmann-Film Der Spezialist an den Beschränktheiten von Archivmaterial abgearbeitet haben, setzen hier nur auf die Potenzierung der Verunsicherung und die Dekontextualisierung als Mittel dazu, als wollte man sich mit solch quellenmäßigem Laissez-faire vom geheimdienstlichen Kontrollwahn absetzen. Doch was kann der Erkenntnisgewinn eines solchen Verfahrens sein? Bei angebrachter Skepsis: Es bleibt die Notwendigkeit, auf der Möglichkeit solcher Erkenntnis zu bestehen.


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