Tartüff

Deutschland 1925 Spielfilm

Tartüff


Dr. M–l (= Dr. Mendel), Lichtbild-Bühne, Nr. 21, 25.1.1926


Wer objektiv zu diesem Werke Stellung nehmen will, muß zunächst seinen Molière vergessen. Es ist von der barocken Grazie des großen Franzosen so gut wie nichts übriggeblieben. Was wir hier sehen, ist urdeutsches, derb zugreifendes und stark untermalendes VoIksstück. Volksstück um so mehr, da eine Rahmenhandlung nach Art des seligen Bonifazius Kiesewetter eine handgreifliche "Moral" anfügt, gewissermaßen also die Molièresche Satire für den Hausgebrauch verständlich macht. Für den Film durchaus diskutabel, aber für irgendwelche literarische Wertung nicht. Und da man bekanntlich prinzipiell keinen literarischen Maßstab an Filme legen soll, so wollen auch wir darauf verzichten, trotzdem ein Karl Mayer dieses Manuskript geschrieben hat.

Rein filmisch interessiert bei diesem Werk in erster Linie die überragende Darstellung. Am interessantesten ist Jannings. Man ist gewohnt, den Tartüff der Sprechbühne als übereleganten, weltgewandten Abbé zu sehen. Jannings gibt ihn als grobschlächtigen, urkomischen und doch so heimtückischen, schleicherischen Proleten, dessen Sinnlichkeit nur mühsam hinter dem vorgehaltenen Gebetbuch verborgen wird. Dieser Tartüff ist grotesk und doch vielleicht wirksamer, als jener der Sprechbühne, denn er arbeitet mit volkstümlicheren Mitteln. Er persifliert den Heuchlertyp, wie er uns nähersteht, als jener aus der galanten Zeit des Barock. Auch Lil Dagover in der Rolle der Elmire gibt diese geistvolle Frau, trotz des Kostüms, das sie mit herrlichem Anstand zu tragen versteht, geistig durchaus modern. Wir hätten uns keine andere in dieser zwar dankbaren, aber darstellerisch recht komplizierten Aufgabe denken können. Lucie HöfIich gibt die Magd Dorine. Auch diese Partie wird sonst vom üblichen Kammerkätzchen gespielt. Die Höflich aber ist der treue, derbe deutsche Hausgeist: sie paßt sich also dem vergröberten Ton bestens an.


Völlig überflüssig leider erscheint uns die Rahmenhandlung mit ihrer aufdringlichen Nutzanwendung. Die Personen des Hauptstückes sind sowieso schon so zeitgemäß gesehen, daß ein Hinweis auf die Gegenwart übrig erscheint. Und wenn man schon die Entlarvung einer Heuchlerin und Erbschleicherin besorgen lassen wollte, so doch lieber nicht gerade durch den finanziell am meisten Interessierten. Man nimmt der beabsichtigten Moral damit die Objektivität. Nein, diese Rahmenhandlung ist eine Entgleisung und schädigt die prächtige Mitte.

Ganz hervorragend ist der Film in seiner Technik. Herlth und Röhrig haben Räume hingestellt, die zwar nicht durch die sonst übliche und üble Kolossalität wirken, sondern durch feinste Stilkunst, die es insbesondere auch dem Kameramann erlaubt, seine unerhörten Lichteffekte anzubringen. Karl Freund hat auch hier wieder durchaus Eigenes geschaffen. In allen seinen Arbeiten steckt eine eigene Note die das Betrachten seines Werkes zum ästhetischen Genuß macht. Selbst einige Härten der Beleuchtung, mit denen man nicht immer einverstanden zu sein braucht, sind bei ihm bestimmte künstlerische Absicht.

Der überaus starke Beifall des Publikums galt allen an diesem Werke Beteiligten, insbesondre dem Regisseur Murnau und den Darstellern. Von diesen sei außerdem noch Rosa Valetti erwähnt, die in der Rahmenhandlung zusammen mit Picha ausgezeichnete Typen hinstellte und endlich auch Werner Krauß. Er hatte die undankbare Rolle eines Trottels, aus der auch dieser große Künstler nichts Rechtes machen konnte.

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