Unterm Birnbaum

DDR 1973 Spielfilm

Weder Zeitbild noch Sittendrama


Hans-Dieter Tok, Leipziger Volkszeitung, 18.11.1973


Die "literarische" Woge aus Babelsberg spült eine weitere Literaturverfilmung an den Kinostrand: Nach E. T. A. Hoffmann, Josef Eichendorff und Willibald Alexis wurde Theodor Fontane für zelluloidwürdig befunden; genauer: sein 1885 erschienener, kriminalistisch gefärbter Roman "Unterm Birnbau". Geistiger Vater dieses farbigen Lichtspiels ist Ralf Kirsten, der bereits "Die Elixiere des Teufels" auf die Leinwand brachte.
Sein Respekt vor dem kritischen Realisten ist allenthalben zu spüren. Die Handlung bleibt weitgehend erhalten, das Personenensemble nicht minder; auch Fontanes Anliegen findet sich wieder. Und dennoch: Dieser erneute filmische Exkurs in die deutsche Literatur des vorigen Jahrhunderts hinterläßt einen höchst zwiespältigen Eindruck, schafft eine befremdliche Distanz zu Fontane und seiner menschlich anrührenden Geschichte (die übrigens passionierten Montagabend-Fernsehzuschauern aus Harald Brauns 1945 mit sicherem Stilgefühl, wenn auch ziemlich unverbindlicher Sicht gedrehtem "Der stumme Gast" hinlänglich bekannt sein dürfte). (…)

Kirsten bietet diese bittere Tragödie, die sich sowohl aus der charakterlichen Beschaffenheit der Eheleute wie aus ihrer sozialen Position erklärt, als weitschweifiges Sittenbild dar, pendelt unentschieden zwischen gesellschaftskritischer Zeitbeschreibung und psychologischem Drama, vermag nicht, beide Komponenten zu einem harmonischen, auch dramaturgisch schlüssigen Ganzen zu fügen. Kirsten wollte, wie er in einem Interview bemerkte, jene bei Fontane vorhandenen Akzente in der gesellschaftlichen Aussage besonders deutlich herausarbeiten. Das geschieht, indem er die Dorfbewohner – vornehmlich die wohlhabenden Bauern – als direktes Sinnbild des schläfrigen, engstirnigen, aber auch gefährlichen Provinzialismus und Spießbürgertums Deutschlands um 1830 charakterisiert, gegenüber Fontane jedoch arg vergröbert, vordergründig, mit einer der Vorlage widersprechenden Tendenz zur satirischen Verzeichnung.


In ihrer sozialen Beschaffenheit werden die Hradschecks nicht minder flach und wenig differenziert gezeigt; an individuellen Zügen mangelt es ihnen weitgehend. Haltungen und innere Situationen werden mehr erklärt, wortreich gedeutet denn gestaltet. So aber stellt sich eine unbegründete Distanz zu ihnen und ihrem Geschick ein, läßt ihre Tragödie unbeteiligt, kühl. Mystische Gestaltungsmittel – das nebeldurchwallte, von schaurigen Herbstwinden heimgesuchte Oderbruch mit seinen öden Weiden und trägen Flüssen oder der mystifizierte Tod des Hradscheck – sind kein Ausgleich für die relativ einseitige Betrachtungsweise der Figuren oder die mäßige Spannung, mit der dieser Mordfall in Szene gesetzt wurde. Sie verselbständigen sich sogar, so daß die stilistischen Brüche zwischen den einzelnen Ebenen des Geschehens noch deutlicher werden. Auch die prominente Besetzung – Angelica Domröse und Erik S. Klein in den Hauptrollen – vermag nicht, das Manko des Buches und der Inszenierung zu tilgen. (…)

So bleibt trotz etlicher schöner Details, trotz der stimmungsvollen Fotografie (Wolfgang Braumann) und trotz sorgfältiger Milieuzeichnung dieser neuerliche Babelsberger Griff in den Bücherschrank fragwürdig, eine Halbheit eben. (…)

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