Lena Rais

BR Deutschland 1979 Spielfilm

Lena Rais


HGP, film-dienst, Nr. 11, 28.05.1980

Es geht um den Befreiungskampf einer Frau; die Stationen ihres langen Wegs führen von der ersten, eher spontanen Verweigerung über einen allmählich bewußter durchgehaltenen Widerstand bis hin zu den entscheidenden Schritten heraus aus dem Machtbereich des Ehepartners. Betroffen macht dabei zunächst wohl die Schilderung des Mannes, denn was auf den ersten Blick wie eine satirisch verzerrte Karikatur erscheint, entwickelt sich unversehens zum Prototyp. Albert Rais ist auf gewisse Weise durchaus brav und tugendhaft, nur erweist er sich gleichzeitig als so engstirnig und bieder, so fantasielos und ohne jede Großzügigkeit, daß er auf die Probleme seiner Frau im besten Fall mit den Gesten eines unterdrückerischen Gönners reagieren kann. Wohl für alle Männer dürften dabei unbehagliche Momente des Wiedererkennens eigener Fehler unvermeidlich sein; doch diese Rituale der Macht und der traditionellen Führungsansprüche werden nicht nur höchst glaubwürdig vorgeführt, sondern auch mit einem kritischen Abstand der Lernprozesse erst ermöglicht. Auch die Figur der Lena Rais bleibt frei vom Pathos unschuldigen Martyriums. Daß sie ihre Ehe aus der kleinbürgerlichen Beengtheit und aus den lähmenden Glücksvorstellungen, die die Erfüllung des Lebens in materiellem Besitz sehen, nicht lösen kann, liegt freilich nicht nur an ihr, sondern auch am Rollenverhalten, das uns allen seit Generationen eingeübt wurde. So ist auch eine gewisse Ratlosigkeit, die dieser Film nicht verhehlt, vor allem als Beleg für die Ehrlichkeit des Regisseurs und seines Drehbuchautors zu sehen; beide mißtrauen den Patentrezepten und maßen sich keine fixen Lösungen an. Lenas Versuch einer Gruppenanalyse verläuft ebenso erfolglos wie der halbherzige Anlauf des Paares bei einer Eheberaterin, weil dabei an den eigentlichen Voraussetzungen der Konflikte nichts geändert wird. Nur plädiert der Film dafür, daß die Betroffenen ihre ersten eigenen Schritte nach vorne unternehmen, sich aus den angelernten Rollen lösen und zu sich selbst zu finden versuchen.

Dieses Plädoyer verfährt ebenso einleuchtend wie anschaulich; Rischert und Grunert machen den Weg ihrer Protagonistin auch mit optischen Konkretisierungen überzeugend dingfest. Lena Rais, von ihrem Mann als Besitz behandelt, beginnt, sich eigenen Besitz zu leisten – von ihrem eigenen Geld übrigens, das sie mit einem anstrengenden Job bei der Post verdient. Sie näht sich ein etwas gewagtes Kleid, kauft sich Blumen, die der Ehemann unverzüglich als Schandtat eines Nebenbuhlers betrachtet und schafft sich schließlich sogar einen Hund an, dessen Präsenz Albert schließlich vollends aus der Fassung bringt. Die erste Affäre mit einem anderen Mann verläuft enttäuschend: auch da erfährt Lena nichts von der Zärtlichkeit und Sensibilität, die sie in der Ehe vermißt. Erst ein anderer Mann, der sich als Freund und nicht als Eroberer erweist, bestärkt die Frau auf ihrem Weg. Freilich ist dieser Freund selbst einer, der mit dieser Gesellschaft nicht so richtig fertig wird, weil er zu verwundbar ist; immerhin bricht er am Ende auf in eine Entziehungsanstalt. Lena selbst hat bis dahin zwar viele kleine Niederlagen erlitten, aber mehr gewonnen, nämlich Selbstbewußtsein. Am Schluß der Geschichte steht nicht das Happy End, sondern, für Lena ein neuer Anfang.

Buch und Regie haben für ihr höchst unterhaltsames Lehrstück eine kluge Form einer realistischen Erzählweise entwickelt: Die Glaubwürdigkeit, die Übereinstimmung mit einer möglichen Wirklichkeit, entstehen durch die Balance zwischen logischen, voraussehbaren Entwicklungen und nicht einkalkulierbaren Unwägbarkeiten. Dabei überzeugen auch die Schauspieler in jeder Sekunde; Originalschauplätze und Originalton unterstützen die souverän geführte Kamera, die den Figuren ohne viele unterbrechende Schnitte in langen Einstellungen folgt. Und vor allem herrscht da auch ein energischer Wille zu einem aufklärerischen Humor: Am Ende ist man weder ergriffen über ein tragisches Schicksal, noch wird man bequem versöhnt mit emanzipatorischen Happy-End-Parolen. Privates Scheitern wird als etwas Vorläufiges begriffen; das heißt, der Film unterhält und macht Mut zu Lösungsversuchen, auch zu unbequemen und schmerzhaften.

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