Genuine

Deutschland 1920 Spielfilm

Genuine


Fritz Olimsky, Berliner Börsen-Zeitung, 5.9.1920, zit. nach Film und Presse, Nr. 9, 11.9.1920


Zunächst etwas Grundsätzliches.

Expressionismus ist nun einmal die große Modeströmung, da war es ganz selbstverständlich, daß auch der Film danach greifen mußte, wirklich kein Wunder, denn alles sucht und hastet hier nach etwas noch nicht Dagewesenem, ob es nun eine Sensation, ein Trick, ein Bluff oder – eine ernstzunehmende Kunstrichtung ist, bleibt sich in diesem Wettlauf um das Neue ziemlich einerlei. Da mußte man es mit Naturnotwendigkeit auch mit dem Expressionismus versuchen, zumal die Filmkunst ihrem ganzen Wesen nach darauf hinwies, Ausdruckskunst ist ja beides. Der Decla gebührt der Ruhm, mit ihrem "Caligarifilm" diesen Weg zuerst beschritten zu haben, ein Experiment, das ganz unzweifelhaft von der größten Wichtigkeit war und es gelang, selbstverständlich gingen die Meinungen im einzelnen weit auseinander, aber darüber hinaus sah doch jeder ein, hier ist Neuland für den Film, hier gibt es ein großes und reiches Betätigungsfeld, ein neuer Weg zur Hinausentwicklung unserer Filmkunst. Nun war die große Frage, wohin würde die weitere Entwicklung führen, sollte die mit "Caligari" begonnene Filmgattung schroff, extrem weiter ausgebaut werden, oder würde man nach diesem etwas kräftigen Auftakt abbauen, die Filmkunst in volkstümliche Bahnen lenken? Die Decla entschied sich für das erstere und das ist nach meinem Dafürhalten grundverkehrt.

Filmkunst muß Volkskunst sein und bleiben, unsere Spielfilme müssen schon aus Geschäftsrücksichten auf die breite Masse des Volkes zugeschnitten sein, wenn aber das Volk durch einen Kunstfilm dem Kino entfremdet wird, dann ist eben diese Filmkunst auf dem falschen Wege. Ein solcher Film liegt hier vor, es ist völlig ausgeschlossen, daß ein Durchschnittspublikum solch schroff durchgeführten Expressionismus versteht, oder sich auch nur damit abzufinden weiß. Der einfache Mann aus dem Volke muß, wenn er dergleichen sieht, irre werden an seinem bisherigen Liebling, dem Kino, und darum lehne ich diese Richtung ab, nicht weil ich dem Expressionismus als solchem feindlich gegenüberstehe, aber es geht nicht an, daß Filme geschaffen werden, die nur ein Häuflein Auserlesener wirklich versteht und zu schätzen weiß, während sie all den übrigen Tausenden und Abertausenden nichts sein können, diesen Luxus darf sich eine so auf Massen angewiesene Kunst, wie es die Filmkunst nun einmal ist, nicht leisten, die hat sich gefälligst nach dem Begriffsvermögen und der Fassungskraft dieser Massen zu richten, das ist ihre verfl … Pflicht und Schuldigkeit.

Dazu kommt noch, daß dieser auf die Spitze getriebene Expressionismus nach meinem Empfinden überhaupt eine ungesunde Richtung ist, er erfordert auch eine eigens darauf zugeschnittene expressionistische Handlung, sodaß Handlung und Inszenierung dem wirklichen Leben gleich fern stehen. Nun ist aber die höchste und erhabenste Aufgabe aller Kunst immer noch, dem vollen lebendigen Leben abgelauschte Werte einer möglichst breiten Masse zu vermitteln, davon kann aber hier schon gar keine Rede sein, sodaß man, wenn man die Dinge recht betrachtet, schließlich nur zu der Frage kommt: Wozu das alles? (...)

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