Junge Leute in der Stadt

DDR 1984/1985 Spielfilm

Junge Leute in der Stadt


Fred Gehler, Sonntag, Berlin/DDR, Nr. 51, 1985


Eine geschätzte Kritikerkollegin hat ihr Mißbehagen mit dem Terminus "Stilübung" umschrieben und gab dem Film so eine unmißverständlich negative Färbung. Ich möchte den Ball aufnehmen, um ihn in ein positives Bezugsfeld zu legen. Unsere Filme sind beklagenswerterweise meist nicht dazu angetan, sich nach Kenntnisnahme über Probleme ihrer Stilistik zu unterhalten und zu streiten, über nicht Vorhandenes läßt sich halt nicht sonderlich gut reden. Karl Heinz Lotz hat das Angebot und die Chance dieses Films dazu genutzt, über die Ästhetik seines filmischen Erzählens nachzudenken, Strukturen zu erproben, die über ein verbales Voranbringen des Sujets hinausgehen. Er hat sich – wer will es ernstlich abstreiten! – "geübt" (das Paradoxe, daß ein knapp vierzigjähriger Filmemacher hierzulande noch immer zwangsläufig sich als Eleve fühlen muß, ist doch wohl dem einzelnen nicht anzulasten). Ich finde es bemerkenswert, wie es ihm gelungen ist, sich in ein emotionales und geistiges Spannungsverhältnis zu den zitierten klassischen Filmmodellen zu bringen, wie er dieses Material aufbricht und assimiliert, es persönlich interpretiert. Man spürt: Hier versucht einer eine vergangene Zeit über authentische Zeugnisse zu begreifen, montiert diese Momentaufnahmen in sein gewonnenes Bild. Lotz läßt die letzten Jahre der Weimarer Republik in einer Collage von Fiktivem und Dokumentarem, von Symbolen und Fetischen, von Stimmungen und Sentenzen, von Tönen und Farben sich verdichten. Walther Ruttmanns Zug, der uns in die "Großstadt" bringt, Piel Jutzis "Blutmai" als Inkarnation der krassen sozialen Antagonismen. Motive und Klänge aus der Großstadtsinfonie: das "Luftschiff" am Himmel, der fiebrige Taumel der Amüsements. Kein Brot, aber Spiele. Ein Conferencier als moderner Hofnarr, gewandelt hat sich der Ort der schlüpfrigen Kommentare zur Zeit, geblieben sind ihre Funktion. Ein Grimassenschneider kehrt mit seinen Fratzen verborgene Instinkte der Gesellschaft nach außen. In der Hektik der menschlichen Ströme die Konstanten der Objekte, eine Hochgarage, Autos, Uhren, die gleißenden Verlockungen der Konfektion. Statussymbole und Symbole der Illusionen von Angestellten, Ladenmädchen und Chauffeuren. Gespräche über Leinwandträume: Fritz Langs "Frau im Mond". Die Collage mündet in ein faszinierendes Endbild: im Innern einer Straßenbahn Frauen mit schlafenden Kindern auf dem Schoß. Die Kinder im Matrosenhabit, die Hände umkrampfen einen Ball mit der Aufschrift "UFA". Außerhalb dieser makabren Idylle marschieren schon die Braunen.

Ich halte eine solche künstlerische Optik auf die zwanziger Jahre für produktiver, anregender und sinnlicher als die ewige Wiederholung der gleichen Erzählmuster, das Zitieren der bekannten Handlungsklischees. Das Dilemma des Films liegt in der Anstrengung, eine originelle Lesart mit der Konvention in Übereinstimmung zu bringen. Solcherart Kompromisse konnten Lotz natürlich auch nicht vor dem Vorwurf des "stilistischen Eklektizismus", der "Bilderrätsel" et cetera bewahren, sollten aber "Junge Leute in der Stadt" nicht ins Zwielicht rücken. Der Film verdient Lob für die richtigen Dinge, Zuspruch und Ermutigung für seinen stilistischen Ehrgeiz.


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