Darsteller, Regie, Drehbuch, Kamera, Schnitt, Produzent
Hemer

Film statt Besinnungsaufsatz

Gespräch mit dem Regisseur Wolfgang Becker



Margret Köhler, film-dienst, Nr. 7, 01.04.1997


Der einzige deutsche Beitrag zum Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin 1997 war Wolfgang Beckers Film "Das Leben ist eine Baustelle" (Kinostart: 20. März). Becker, geboren am 22.6.1954 in Hemer, Westfalen, arbeitete ab 1983 als freier Kameramann und debütierte 1987 mit "Schmetterlinge"; 1992 machte er mit "Kinderspiele" (1992) erneut auf sich aufmerksam.
"Das Leben ist eine Baustelle" ist eine etwas andere Liebesgeschichte aus dem Berlin der 90er Jahre. An einer Häuserwand steht "Liebe in den Zeiten der Kohl-Ära". Umreißt das den Inhalt Ihres neuen Films?

Becker: Das ist eine Verballhornung des Titels von Garcia Marquez" Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera". Die lange Kohl-Ära mit ihrer geistig-moralischen Wende hat Folgen, der Begriff "intellektuell" gilt schon fast als ein Schimpfwort, eine kulturelle Avantgarde gibt es kaum noch. Das Leben eines Großteils der Jugend ist nicht medientauglich. Ich zeige einen Ausschnitt aus dem Leben junger Menschen, die nicht so schicke Berufe haben wie Journalist oder Radiomoderatorin.

Ist der Titel Programm? Steht er für Aufbau oder Chaos?

Becker: Wir verstehen es mehr als Metapher auf eine Lebenssituation der Protagonisten. Vieles ist noch nicht fertig, noch in Bewegung, mancher wird auch mal in Ruhe gelassen, dann herrscht Baustellenstop. Das empfinde ich als positiv. Ich beschreibe keinen Zustand, in dem man sich eingerichtet hat, der fest definiert ist. "Das Leben ist eine Baustelle" würde ich auch nicht als "Berlin-Film" bezeichnen, nur weil es hier von Baustellen wimmelt. Wir sind von der Atmosphäre und den Figuren ausgegangen, die Handlung selbst könnte auch in jeder anderen Stadt spielen.

Sie erzählen keine lineare Liebesgeschichte, sondern verknüpfen verschiedene narrative Stränge.

Becker: Das Leben ist auch nicht so stringent, sondern oft überfrachtet, man muß sich oft mit mehreren Problemen gleichzeitig auseinandersetzen. Ich mache Filme und keine Besinnungsaufsätze, deshalb zeige ich einfach das Ausschnitthafte, den Mikrokosmos im Alltagsleben, der auch seine Größen hat. Für diese Art Filme gibt es nicht viele Vorbilder. Die typische klassische Entwicklung, wie der Held seinen Konflikt bis zum Happy End löst, finde ich langweilig. Dann könnte ich gleich zum Script-Doctor gehen.

In zehn Jahren haben Sie nur drei Spielfilme realisiert. Liegt das an Finanzierungsschwierigkeiten?

Becker: Die Finanzierung bei "Das Leben ist eine Baustelle" ging relativ schnell. Ich hatte mich zwischenzeitlich verzettelt, bin aber auch nicht der schnellste Schreiber und mehr aus der Not heraus Autorenfilmer. Jetzt habe ich mich entschlossen, in der Hoffnung auf gute Fremdstoffe vom Schreiben Abstand zu nehmen. Das Vorbereiten von Filmen, das Casten, Drehen und Schneiden, das ist viel mehr meine Welt, darauf werde ich mich in Zukunft konzentrieren. 1995 kam die Gründung von "X Filme", die auch Zeit kostet.

Die Firma "X Filme" gründeten Sie gemeinsam mit Stefan Arndt, Tom Tykwer und Dani Levy, um Kreativität und finanzielle Mittel zu bündeln. Greift das Konzept schon?

Becker: Für ein Resümee ist es noch zu früh, wir sollten abwarten, wie mein Film und auch Tom Tykwers "Winterschläfer" (Kinostart: 30. Oktober) läuft. Gemeinsam ist man stärker, man kommt aus der Vereinzelung heraus, es gibt ein konstruktives Korrektiv, das notwendige Feedback. Tom Tykwer und ich haben gemeinsam das Drehbuch zu "Das Leben ist eine Baustelle" geschrieben, der erste Fall konkreter Zusammenarbeit. Man ist auch nicht mehr so schnell spaltbar. Das beginnt mit ganz simplen Vertragsangelegenheiten. Wenn die Fernsehanstalten versuchen, Regisseure budgetmäßig zu drücken, geht das bei drei Leuten nicht so ohne weiteres.

Dominiert das Fernsehen die Filmlandschaft?

Becker: Die wirklichen Stars in Deutschland sind nicht die Film-, sondern die Fernsehstars. Filmregisseure bekommen die eigentlichen Motive nicht, müssen mit unnötigen Schwierigkeiten kämpfen, die oft nichts mit Geld zu tun haben, sondern mit der Bereitschaft von Behörden und deren Einsehen. Auf dem Mercedes-Benz-Gelände erhielten wir beispielsweise keine Drehgenehmigung, die Fernsehanstalt dagegen sofort. Sobald ein Herr Juhnke oder ein Herr Gottschalk irgendwo auftreten, spuren die Behörden, lösen sich alle Probleme in Wohlgefallen auf. Jürgen Vogel kennen nur die Kinogänger.

"Kinderspiele" war ein eindrucksvoller Film über das Ende der Kindheit, auch in ihrem neuen Film spielt ein Kind eine tragende Rolle. Was bewegt Sie dazu, mit Kindern zu arbeiten?

Becker: Vielleicht habe ich eine Affinität zu der Schutzlosigkeit und der Naivität von Kindern. Wir wissen nicht mehr sinnlich, was es bedeutet, Kind zu sein. Kindern gelingt es auf verblüffende Art, Dinge einfach zu benennen und nachzufragen.

Haben Sie keine Angst, daß Ihr Film mit seinen realistischen Ansätzen in der Komödienwelle untergeht?

Becker: Als wir anfingen zu schreiben, war die Entwicklung nicht voraussehbar. Ich möchte mich nicht in den Chor derjenigen einreihen, die jetzt unisono über die Komödien herfallen. Man vergißt zu leicht, was diese Filme geleistet haben. Das Publikum zeigt endlich wieder Vertrauen in den deutschen Film. Es gibt eine Menge Filme, die den Zuschauer anziehen. Es müssen nicht unbedingt drei Millionen sein, je nachdem wie hoch die Produktionskosten sind, können auch 100.000 Zuschauer schon Erfolg bedeuten, vor allem wenn man den Film auch in andere Länder verkaufen kann, was bei den Komödien nur selten der Fall ist. Bei uns fehlt dieser Mittelbau von Filmen, die nicht nur um jeden Preis komisch sein wollen, sondern auch andere Themen behandeln. Dieses Segment decken die amerikanische Indie-Szene, die Australier und Neuseeländer ab. Diesen Mittelbau, an dem auch das Ausland Interesse hat, müssen wir erst einmal schaffen. Sonst kann es sein, daß man mit drei oder vier Komödien den Marktanteil kurzfristig erhöht, wenn die aber ausbleiben, der Marktanteil wieder abstürzt.

Larmoyanz gehört zum deutschen Filmgeschäft. Bei vier Prozent Marktanteil wurde gejammert, bei derzeitigen 20 Prozent wird auch gejammert, wenn auch aus anderen Gründen. Woran hapert es in Deutschland?

Becker: Die Amplitude von "Himmelhochjauchzend" bis "Zu-Tode-betrübt" ist mir zu groß. Die Lichtgestalten steigen nicht vom Himmel, das ist ein längerer Prozeß, der Geduld erfordert. Bei uns macht man sofort aus allem eine neue Tendenz, anstatt die Entwicklung erst einmal abzuwarten. Es fehlt an einer Filmindustrie, die eine größere Menge von Filmen überhaupt tragen kann. Wo findet man noch einen qualifizierten Lichtbestimmer? Das ist eine aussterbende Zunft. Gerade in den filmtechnischen Betrieben gibt es Qualifikationsdefizite. Es fehlen uns auch die Experten für "Special Effects". Und dann das Development! In Hollywood nimmt man vielleicht nur einen von 20 Stoffen. Bei uns muß jeder Stoff durchgezogen werden, man will das Resultat in Filmmetem messen, um etwas vorweisen zu können fürs Geld. Dabei wäre es oft sinnvoller, mal einen Autoren oder eine Recherchenreise zu bezahlen, auch wenn nichts dabei herauskommt. Aber das kollidiert mit dem kulturellen Input-Output-Denken. Zudem mangelt es an einer neuen Filmsprache. Wer hätte einen Film wie "Trainspotting" bei uns gefördert? Filme, die etwas Neues erzählen, finden meistens auf der Ebene des Kleinen Fernsehspiels statt. Erst wenn die Regisseure bekannt sind, setzt man Vertrauen in sie, investiert man auch mehr Geld.

Was wäre für Sie ein optimales Fördersystem?

Becker: Jedenfalls nicht diese verschiedenen kleinen Ländertöpfe mit den Regionaleffekten. Da ist man als Produzent ratlos, weil jeder einen bestimmten Prozentsatz einfordert. Warum soll ich einen Film an der Nordsee drehen, der in den Alpen spielt, nur weil ich Hamburger Filmförderung bekomme? Das ist ein Eiertanz. Bei "X Filme" haben wir eine gute Lösung, der Deal geht über drei Filme, d.h. der Regionaleffekt muß nicht durch einen Film erbracht werden, sondern durch drei Filme. Das bedeutet Entlastung.

"Schmetterlinge" und "Kinderspiele" waren Festivalerfolge, "Schmetterlinge" erhielt den "Student Film Award", den "Oscar" für den besten Studentenfilm. Hat sich das für Sie "ausgezahlt"?

Becker: In Deutschland nutzt nur eins: mit einem Film Kasse machen. Dann öffnen sich die Türen, egal, wie schwach das Werk ist. Ein Film, der auf der ganzen Welt Preise einheimst, wird von Fördergremien oder Fernsehanstalten für kulturell wertvoll erachtet. Aber die großen Deals kommen erst, wenn der Rubel rollt. Und das ist der Punkt, wo die Kritik meistens verstummt.

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