Herrenpartie

BR Deutschland Jugoslawien 1963/1964 Spielfilm

Endlich, ein Staudte

"Herrenpartie"



Kurt Weinhold, Kölner Stadt Anzeiger, 01.03.1964

Es ist lange her, dass Wolfgang Staudte einen guten Film gedreht hat. Seine besten ("Rotation", die Heinrich-Mann-Verfilmung "Der Untertan" und "Die Mörder sind unter uns") entstanden nach dem Krieg bei der ostzonalen DEFA. Sie sind auch in Westdeutschland gezeigt worden und haben Erwartungen hochgeschraubt, die Staudte nachher immer wieder enttäuscht hat. Hier also ist nun zum erstenmal ein Film von ihm, der lupenreine Sozialkritik präsentiert. Einer Gruppe deutscher Sangesbrüder bleibt infolge Benzinmangels mit ihrem Kleinbus in einem montenegrischen Bergdorf hängen, das nur noch von Frauen bewohnt wird. Die Männer, ob sie nun selbst Partisanen waren oder nur deren Helfer, sind seit neunzehn Jahren tot, begraben im kargen Gebirgsacker, aber unvergessen von ihren Frauen, Schwestern und Töchtern. Die deutschen Touristen, die sich an jugoslawischen Küsten gesonnt haben, befinden sich schon auf der Heimkehr. Das heißt, sie haben sich, irregeführt durch eine Straßenumleitung, verfahren, der Mangel an Treibstoff ist"s nicht allein: Sie haben weder zu essen noch zu trinken. Aber die Türen der armseligen Häuser bleiben ihnen versperrt. Wie damals dröhnen nun dumpfe Schläge gegen die verrammelten Fenster eines ehemaligen Gasthofes. Sie braten einen gestohlenen Hammel am Spieß, und irgendwie sind sie auch an Slibowitz gekommen. Die Flasche kreist, die alten Lieder erklingen aus rauen Männerkehlen…

Wenn Staudte in diesem konsequent durchgeführten Film, in dem die erbosten Frauen den Kleinbus der verhassten Deutschen in den Abgrund stürzen und eine Brücke in die Luft sprengen, nicht zu dem alten Elan zurückfindet, der seine frühen, zum Teil stark karikierenden Filme auszeichnete, so liegt das am Charakter der Episode, als welche dieser missglücke Ausflug von ein paar Spießern sich von vornherein ankündigt. (Der Tourismus in Jugoslawien ist gesichert.) Ein Gleichnis ist"s, wenn in der herrlichen Bergwelt schwarzgekleidete Frauen, vereinzelt und zu fotogenen Gruppen vereinigt, als Erynnien, als Mahnerinnen an schlimme Kriegszeiten und Unterdrückung einer allzu harmlosen Urlaubsgesellschaft entgegentreten.

Man muß es Staudte danken, dass er diese Dinge nicht hochtreibt, dass er die Deutschen mit milder Satire behandelt. Mit einer Satire übrigens, die erst im psychologisch richtigen Moment sich ganz offenbart: als die des Marschierens denn doch nicht mehr gewöhnten Herren mit ihren Bäuchlein und den furchtbar lustigen Strohhüten sich auf gefährlichen Pfaden zur Zivilisation da unten zurückfinden bemühen. Auf einem Felsplateau und vor einem Rundblick, den sie in einer Verfassung mit einem gemeinsam gesungenen Lied feiern würden, verlieren sie die Nerven. Der Lack fällt ab, wie man so sagt. Nachdem der Dirigent in einem Anfall von Widerborstigkeit – gegen den "Führer" und Major a. D. – seine Noten in alle Winde und Gebirgsschlünde verstreut hat, "durchleuchten" sie einer den anderen, und hinter der strammen bundesbürgerlichen Honorigkeit kommt dies und das an den Tag. Aber ehe sie sich ganz zerfleischen, werden über dem Felsrücken die Frauen sichtbar, die sich nun doch zur Versöhnlichkeit bekehrt haben und die Männer ins Dorf zurückführen.

Die deutschen Typen sind – neben den zahlreichen, schwer voneinander zu unterscheidenden jugoslawischen Darstellerinnen – behutsam hingestellt, durchaus passable Leutchen, wie es scheint. So der Stadtbaurat (Hans Nielsen) mit seiner sonoren Respektabilität, der Studienrat (Friedrich Maurer), der, wie sich herausstellt, schon 1933 als Idealist zur Partei gestoßen ist, und so der servile Buchhändler, der immer bereits Dirigent, der statt nach einer Tankstelle nach Briefkästen Ausschau hält, um seine Ansichtskarten loszuwerden: Rudolf Platte, endlich einmal nicht in seiner ausgeleierten Komikerrolle, sondern als ein Charakterdarsteller, der dieses Fach noch mit mancher lebensvollen Figur bereichern könnte, wenn man ihn nur ließe.

Zum Schluß ist Staudte und seinem Drehbuchautor Werner Jörg Lüddecke noch eine besonders treffende Pointe gelungen, indem der Alptraum des von Männern entleerten Gebirgsdorfes – nach neunzehn Jahren noch immer entleert? – auf hintergründig doppelsinnige Weise weggewischt wird. Auf Anraten nämlich des jüngsten Mitglieds der deutschen Reisegruppe, eines Studenten, und wohl mehr noch wegen der Drohung des ebenfalls mitreisenden Kleinstadtredakteurs, andernfalls eine Reportage mit allen Einzelheiten des Abenteurers zu veröffentlichen, entschließen sich die Deutschen, der Polizei gegenüber zu schwiegen und die Frauen zu schonen. Und was sagt der sonore Baurat, schon vom Lastwagen herunter, der die Gesellschaft an die Küste zurückbringen soll: "keine Sorge, wir Deutschen können vergessen." Jedenfalls hat Staudte sich diesmal davor bewahrt, mehr und mehr vergessen zu werden.

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