Absolute Wilson

USA Deutschland 2005/2006 Dokumentarfilm

Absolute Wilson


Felicitas Kleiner, film-dienst, Nr. 21, 2006 Wer eine Produktion des Theaterregisseurs und Installationskünstlers Robert Wilson gesehen hat, wird sie sobald nicht mehr vergessen. Ob "Woyzeck" (2000) oder "Time Rocker" (1996), ob "The Black Rider" (1991) oder "Parsifal": Seine Inszenierungen sind bleibende Erlebnisse; surreal, expressiv, von einem ganz eigenen, abstrakten Stilwillen geprägt, mehr Gesamtkunstwerke als klassische Theaterarbeit. Realismus und traditionelle Figurenpsychologie spielen dabei keine Rolle, dafür aber Farben, Formen, Musik, die Bewegung von Körpern im Raum sowie intertextuelle bzw. -mediale Bezüge. Katharina Otto-Bernstein hat dem Künstler, der seit den 1960er-Jahren zur Avantgarde der internationalen Theaterszene gehört, ein Filmporträt gewidmet, das in jahrelanger Zusammenarbeit mit Wilson entstanden ist. Von der Machart her ist das Ergebnis, "Absolute Wilson", nicht spektakulär: Es besteht weitgehend aus Interview-Sequenzen, in denen Wilson über sich selbst und seine Arbeit erzählt; auch Zeitgenossen wie Susan Sontag, der Musiker David Byrne, Opernstar Jessye Norman, der Komponist Philip Glass oder auch Wilsons Schwester kommen zu Wort und berichten über ihre Erfahrungen mit dem Künstler. Das Ganze wird durch Mitschnitte von diversen Projekten illustriert, durch Schwarz-Weiß-Fotografien aus Wilsons Kindheits- und Familiengeschichte sowie durch einige historische Aufnahmen, die die Zeitgeschichte lebendig werden lassen. Die Dokumentation ist – nach einer Art "Ouverture", die erste Eindrücke von Wilsons Schaffen, Persönlichkeit und seiner Bedeutung fürs internationale Theater vermittelt – lose chronologisch aufgebaut: von Wilsons Kindheit in Waco, Texas, bis in die Gegenwart.

Fragen oder Kommentare der Regisseurin bleiben außen vor; Wilson und seine Kunst sprechen für sich. Nur die Montage deutet vorsichtig Zusammenhänge zwischen Leben und Werk an, wenn Otto-Bernstein für bestimmte biografische Einflüsse, die Wilson im Interview erwähnt, Beispiele für deren Ausprägung in einzelnen Produktionen sucht. Trotz oder gerade wegen dieser konventionellen Erzählweise ist der Hamburger Filmemacherin ein fantastisches Künstlerporträt gelungen, in dem sich an keiner Stelle formale Mätzchen zwischen den Zuschauer und das Objekt des Interesses schieben.

Die Dinge, die Robert Wilson zu seinem Werdegang und zu seinen Werken zu berichten hat, sowie die Einblicke in die Theaterproduktionen und die sonstigen Aktivitäten des Genies (wie man Wilson ohne Übertreibung nennen darf), sind allemal faszinierend genug, um zu fesseln und zu unterhalten. Der 1941 in wohlhabenden, konservativen Verhältnissen geborene Künstler erzählt von einer schwierigen Kindheit, in der ihm eine Störung bei der Verarbeitungen von Umwelteindrücken – er beschreibt sich als sehr langsames Kind, das sich mit allem, was andere spielend lernten, schwer tat – viel Druck, Schmerz und Einsamkeit bescherte, aber auch eine ganz eigene Wahrnehmung der Welt. Und eine Zuneigung zu den scheinbar "Andersartigen", zu Menschen, die nicht so funktionieren, wie es die Norm vorschreibt. Mit dem Umzug nach New York setzte neben dem Architekturstudium Wilsons künstlerisches Schaffen ein – eingebettet in ein höchst kreatives Umfeld zwischen "Living Theatre" und Merce Cunningham, wo nach neuen Ausdrucks- und Lebensformen gesucht wurde. Wilson berichtet über Ermutigungen und Rückschläge, über einen Selbstmordversuch, das Ringen um die Achtung des Vaters und den Umgang mit der eigenen Homosexualität. Und über die künstlerischen Experimente, in denen sich sein ganz eigenes Universum formte.

Auch als sich internationale Erfolge langsam einstellten – etwa mit "Einstein on the Beach" (1976) –, war seine Karriere nicht nur von Anerkennung und der Zusammenarbeit mit interessantesten Künstler seiner Zeit geprägt, sondern auch vom ermüdenden Ringen um Gelder und sonstige Unterstützung. Bis hin zu einem gänzlich gescheiterten Projekt im Rahmen der Olympischen Spiele 1984, eine Enttäuschung für Wilson, an der er schwer zu tragen hatte – ohne dass dies den Arbeitseifer des ruhelosen Künstlers geschmälert hätte. Das Porträt zeigt Wilson als vielseitige und charismatische Persönlichkeit, die ebenso klug wie fesselnd zu erzählen versteht, ohne letztlich das eigene Geheimnis zu lüften oder den Zauber seiner Arbeiten durch peinliche private Offenbarungen zu zerstören. Wenn man den Kinosaal verlässt, wünscht man sich vor allem eines: Eine DVD-Box mit sämtlichen Mitschnitten von Wilsons Projekten. Oder noch besser: Ein neues Bühnenwerk.

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