Phantom

Deutschland 1922 Spielfilm

Gerhart Hauptmann 60 Jahre


Hans Wollenberg, Lichtbild-Bühne, Nr. 47, 18.11.1922


Gerhart Hauptmann, der Sechzigjährige, gehört der Menschheit, dem deutschen Volke, der Literatur; ebenso sehr aber auch – dem Film. Das spricht für ihn nicht nur, den Großen, der nie auf des Parnasses Höhe den Sinn für das Volkstümliche, aber auch für das Zukunftsträchtige des Lichtspiels verloren; das spricht ebenso sehr für den Film, dem ein wahrer Dichter seine Schöpfungen vorurteilsfrei anvertraut. Dem Lichtspiel aber erwachsen aus solchem Vertrauen Pflichten. Soll es die Aufgabe erfüllen, mit seinen Mitteln an den breiten Kreis seiner Freunde Dichterwerke heranzubringen, so muß von der Dichtungen Geist sich etwas in seinen Schöpfungen manifestieren.

Eine lange Reihe von Jahren und eine noch größere Fülle nach filmischer Aufwärtsentwicklung strebender Energien ist in die Spanne vom ersten Hauptmann-Film – "Atlantis" – bis zu dem neuesten – "Phantom" – zusammengedrängt. Dazwischen liegen "Rose Bernd" mit der Porten und Jannings (ein Werk, das der Dichter selbst einmal den "Triumph der stummen Kunst" genannt hat), die "Ratten" und "Hanneles Himmelfahrt". Mag auch nicht jedem von Hauptmanns Verfilmern gleichmäßig Bestes geglückt sein – in aller Bescheidenheit darf man aussprechen, daß die Mittlerschaft des Kinos auch ihr Teil dazu beigetragen hat, Hauptmann zu dem populären Dichter zu machen, um den sich an seinem 60. Geburtstag nicht nur die Gebildeten, sondern die Massen scharen. (...)

Der Film "Phantom" ist aufgebaut auf einem seelischen Prozeß, den psychologisch zu entwickeln mittels Darstellung plus Technik ausgezeichnet gelungen ist. Ich betone: ich habe den Roman Hauptmanns erst nach der Filmvorführung gelesen. Diese Lektüre hat das psychologische Bild, das der Film entrollt hatte, vollkommen bestätigt. Es ist also möglich, mit den Mitteln des Bildbandes auch seelische Vorgänge differenzierter Art zu verdeutlichen, und es muß gesagt werden, daß solche psychologischen Lösungen interessanter, fesselnder sind als die Lösung dramatischer Konflikte mit dem Boxhandschuh.

Das zweite Wesentliche des "Phantom"-Films, das, was er dem bodenständigen, dem im Volke wurzelnden Künstler Hauptmann verdankt, ist die vollendete Schilderung einer uns heimischen Umwelt; mehr noch: die Nachschöpfung der ihr eigenen Atmosphäre.

Damit sind die beiden Komponenten dieses Filmes bloßgelegt: diese lebensechte Milieumalerei und jener psychologische Prozeß stehen in einem dramaturgisch gut ausgewogenen Wechselverhältnis. (Manuskript Thea von Harbou.)

Durch das starke Spiel Alfred Abels allein (der als Stadtschreiber Lubota seinem Phantom nachrennt, geistig und moralisch strauchelt und nach harter Prüfung genest) ließen sich die inneren Vorgänge nicht hinlänglich manifestieren; die Regie F.W. Murnaus mußte die Technik zu Hilfe rufen, um Phantome, Phantasmen, Irrungen und Wirrungen Bild werden zu lassen. Die Versuche auf diesem Gebiet reichen weit zurück (man denke beispielsweise an Reinerts "Nerven", an den schwedischen "Fuhrmann des Todes", an Visionäres in Griffiths "Gebrochene Blüten");dem Gelingen kam man bisher noch nirgends so nahe, wie hier – auch Murnau selbst nicht, in seinem "Nosferatu". (...)

So mag dieser Aufsatz, der mit dem Namen Gerhart Hauptmanns begann, mit dem Namen dessen schließen, der sich hier als Lichtspielkünstler hohen Ranges und nicht unwürdiger Filminterpret des großen Gerhart ausgewiesen hat: den Namen des Spielleiters F. W. Murnau.

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