Regisseurinnen räumen die Hauptpreise bei goEast 2021 ab

Der Dokumentarfilm "Der Regen wird niemals enden" (Ukraine, Lettland, Deutschland, Katar 2020, Regie: Alina Gorlova) hat die Goldene Lilie, den auf 10.000 Euro dotierten Hauptpreis der 21. Ausgabe von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films in Wiesbaden, gewonnen.

 

Die internationale Jury unter dem Vorsitz von Saodat Ismailova begründete ihre Entscheidung damit, dass Alina Gorlova durch den gewagten Einsatz filmischer Stilelemente den Blick auf einen jungen Mann richtet, der sich in den Konfliktwelten in Syrien und Donbass gefangen sieht. "Gorlovas Vision, äußerlich stoisch und voller Empathie, überschreitet einfache Grenzen, indem sie Bild und Ton als sensorische Erfahrung nutzt", ergänzt die Jury.

Nahezu alle ursprünglich wieder für das Kino geplanten 92 Festivalfilme aus 38 Ländern mit 32 Deutschlandpremieren und zwei Weltpremieren hat das vom DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum veranstaltete goEast in seiner 21. Ausgabe in den digitalen Raum verlagert. Für die zweite Pandemie-Ausgabe von goEast war es den Festivalmacher*innen allerdings nicht genug, ausschließlich eine Mediathek anzubieten. Mitten in Wiesbaden florierte ein Festivalzentrum hinter verschlossenen Türen, das unter Einhaltung von strengen Hygieneauflagen genug Platz für Festivalgäste, zwei Festivalstudios, eine Corona-Teststation des Deutschen Roten Kreuz und eine Action-Art Performance von Dan Perjovschi bot. Auch war es Festivalbesucher*innen im Rahmen des Public Distancing-Programms möglich, den goEast Ost-Kiosk vor dem Nassauischen Kunstverein zu besuchen und sich dort nicht nur mit etwas Verpflegung zwischen den On Demand Streams einzudecken, sondern auch das ein oder andere bunte Blatt aus Mittel- und Osteuropa zu entdecken.

Juja Dobrachkous erhält für ihr Werk "Bebia, à mon seul désir" (Georgien, Großbritannien 2020) den auf 7.500 Euro dotierten Preis der Landeshauptstadt Wiesbaden für die Beste Regie. Die Jury würdigt ihren Mut, die Geschichte aus den Augen einer jungen georgischen Frau zu erzählen und dabei Vorurteile, die der Vergangenheit angehören, als generationsübergreifendes Heilmittel zu nutzen. Die visuelle Sprache des Films erschaffe eine individuelle Welt, die die Charakterbilder untermauert und die Handlung vertieft.

Der Film "How I Became a Partisan" (Slowakische Republik, Tschechische Republik 2021, Regie: Vera Lacková) hat bei goEast seine Weltpremiere gefeiert und kann sich nun schon über seine erste Auszeichnung freuen: den auf 4.000 Euro dotierten Preis für Kulturelle Vielfalt. Der Film "entwickelt sich zu einer bewegenden, persönlichen Reise durch eine nahezu unbekannte Geschichte. Indem sie den Überlebenskampf ihrer Familie während des Zweiten Weltkriegs mit ihren eigenen Erfahrungen als Roma-Angehörige in der heutigen Zeit verbindet, schafft Vera Lacková ein Bild, das in all seinen Aspekten menschlich ist, ohne falsche Kategorisierungen, und das sowohl die Freude an der Familie als auch den Schmerz der systematischen Verfolgung offenbart", erklärt die Jury.

Mit einer lobenden Erwähnung hat die Jury "Chupacabra" (Russland 2020, Regie: Grigory Kolomytsev) dafür bedacht, dass der Film als "bemerkenswertes Spielfilmdebüt mit einer klaren Inszenierung und einer wunderbar poetischen Klangkulisse das schon zur Gewohnheit gewordene Verständigungsproblem zwischen Erwachsenen und Kindern offenbart und dabei eine bemerkenswerte schauspielerische Leistung aus dem jungen Protagonisten herausholt."

Festivalleiterin Heleen Gerritsen freut sich, dass die internationale Jury die drei Hauptpreise des Wettbewerbs an Filmemacherinnen vergeben hat: "Unsere Wettbewerbssektion ist traditionell mit einer Vielzahl großartiger Regisseurinnen vertreten, das ist in diesem Jahr nicht anders. Ob die bereits genannten: Alina Gorlova, Juja Dobrachkous oder Vera Lacková, aber auch alle nicht erwähnten: Lili Horvát, Nora Martirosyan und Marta Popivoda – sie alle tragen zu einem mittel- und osteuropäischen Filmbild bei, das seine Ketten festgefahrener Strukturen und überholter Rollenbilder sprengt. Ich gratuliere allen Preisträger*innen und freue mich auf den Tag, an dem wir ihre Filme wieder gemeinsam und im engen Austausch im Kino erleben dürfen."

Der Preis der Internationalen Filmkritik FIPRESCI in der Kategorie Spielfilm geht ebenfalls an "Bebia, à mon seul désir" (Georgien, Großbritannien 2020). "'Bebia, à mon seul désir' ist in seinem ästhetischen und erzählerischen Konzept ein gelungener Coming-of-Age-Film. Aus der Sicht seiner jugendlichen Protagonistin Ariadna, die während einer ungewöhnlichen, mythenbasierten Beerdigung ihrer Großmutter von ihrer Kindheit heimgesucht wird, gelingt Juja Dobrachkous eine originelle Mischung aus Ariadnas Erlebnissen in zahlreichen Rückblenden und den familiären Spannungen, die die Trauerrituale begleiten."

In der Kategorie Dokumentarfilm gewinnt "Please Hold the Line" (Österreich 2020, Regie: Pavel Cuzuioc), der "intensive menschliche Beziehungen zeigt, die normalerweise wie einfache alltägliche Interaktionen erscheinen. Er schafft ein tieferes Verständnis für die dargestellte Welt, indem er uns auf eine Reise durch vier europäische Länder mitnimmt und zahlreiche spontane Situationen aufzeichnet. In einem filmischen Raum, der den unterschätzten Berufen im Kommunikationsdienst gewidmet ist, wird uns auch bewusst, dass wir vielleicht zu oft glauben, dass nur Psychologen oder enge Freunde intime Monologe führen können."

Für ihr dokumentarisches Virtual Reality- und 360°-Projekt "The Spheres City – Tangible Utopias" (Rumänien 2021) wird Ioana Mischie mit dem diesjährigen Open Frame Award mit einem Preisgeld über 5.000 Euro, gestiftet von der BHF Bank Stiftung, ausgezeichnet. "Wir erkennen die langfristigen Ambitionen dieses sinnvollen Projekts an, das sich in den folgenden Jahren weiterentwickeln und wachsen wird, indem es Kindern auf so kreative Weise eine Stimme gibt und sie als unsere wahre Hoffnung für unsere globale Zukunft umarmt und feiert", begründet die Jury ihre Entscheidung. Eine lobende Erwähnung spricht die Jury für "#Prisonersvoice" (Ukraine 2020, Regie: Nikita Bohdanov) aus, der klare und direkte Erzählungen von Aktivisten mit einer dichten Atmosphäre verwebe und so einen intensiven Einblick in eine Welt gewährt, die sonst unbekannt ist.

Den dritten auf 2.500 Euro dotierten und vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain gestifteten RheinMain Kurzfilmpreis vergibt eine Jury aus Vertreter*innen von Programmkinos aus dem Rhein-Main-Gebiet an "Ural" (Deutschland, Russland 2019) von Alla Churikova. "Die Autorin und Regisseurin erzählt von ihrer Kindheit in einer Militärsiedlung am Fuße des Ural. Ihre animierten Erinnerungen verwebt sie mit Aufzeichnungen, Photographien und Tondokumenten ihres Vaters, einem sowjetischen Offizier, der Teil geheimer Nuklearwaffenversuche war. Hierbei gelingt es ihr beide Perspektiven gleichberechtigt auf eine Ebene zu bringen und sie schafft damit gleichsam eine Skizze für ein Epos des 20. Jahrhunderts", so die Jury. Eine lobende Erwähnung sprach die Jury für "Man" (Lettland 2020, Regie: Yulia Timoshkina) als empathisch-poetisches Porträt einer ganz alltäglichen Situation, aus.

Das Renovabis Recherchestipendium für Dokumentarfilmprojekte mit Menschenrechtsschwerpunkt 2021 geht an "Second Hand War" von Anna Benner und Eluned Zoe Aiano. Das Stipendium ist auf 3.500 Euro dotiert. Die künstlerische Herangehensweise des Projekts zeigt unterschiedliche Perspektiven von Frauenrollen im Krieg und begibt sich auf die Suche nach Lücken im kollektiven Gedächtnis.

Mit dem goEast Development Award zeichnet die East-West Talent Lab Jury "King Matt the First" von Regisseurin Jaśmina Wójcik und Produzentin Agnieszka Rostropowicz-Rutkowska aus. "Vielleicht sollte es eher 'Queen Mathilda the First' heißen, denn die charmante und inspirierende Reise, erzählt durch die Augen der Kinderdarstellerinnen Lea und Zoja, beweist großen Phantasiereichtum", so die Jury in ihrer Begründung. Der goEast Development Award ist auf 3.500 Euro dotiert und wird von Russian Standard Wodka gesponsert.

Mit einer erfrischenden und witzigen Konstellation aus vier ganz unterschiedlichen Charakteren überzeugt "Spa" von Ieva Šakalytė. Das Projekt erhält den Pitch the Doc Award bei goEast, für den ein zusätzliches Mentoring für die Gewinnerin gesponsert von der gleichnamigen polnischen Plattform.

Die Wahl des goEast Medienpartners 3sat, der seit Beginn des Festivals in jedem Jahr den Ankauf für einen Film des Programms anbietet, fiel für 2021 auf den Wettbewerbsfilm "Preparations to be Together For an Unknown Period of Time" (Ungarn 2020, Regie: Lili Horvát). Der Film soll 2022 bei 3sat seine TV-Premiere feiern.

Im Angesicht einer weiterhin das öffentliche Leben bestimmenden Pandemie hat goEast auf seine ersten Erfahrungen in der Ausgestaltung eines Online-Festivals aus dem Vorjahr zurückgegriffen, aber dabei weiter Publikumsveranstaltungen verfolgt. Das Autokino und der abendliche Kurzfilmspaziergang werden kurzfristig in den Sommer verschoben. Sobald ersichtlich wird, unter welchen Bedingungen und an welchem Zeitpunkt die Veranstaltungen stattfinden können, veröffentlichen die Festivalmacher*innen entsprechende Informationen auf ihrer Website.

Quelle: www.filmfestival-goeast.de