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Loriot, bürgerlich Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow, kurz Vicco von Bülow (1923–2011), gilt als bedeutendster und vielseitigster deutscher Humorist des 20. Jahrhunderts. Von 1976 bis 1978 entstand im Auftrag von Radio Bremen die sechsteilige Fernsehserie Loriot, in der sich gespielte und gezeichnete Sketche abwechselten. Die Serie gilt als Höhepunkt von Loriots Fernsehschaffen, sie begründete seinen Kultstatus und wird seit Langem als fester Bestandteil deutschen Kulturguts betrachtet. "Alles, was ich als komisch empfinde, entsteht aus der zerbröselten Kommunikation, aus dem Aneinander-Vorbeireden", so Loriot in einem "Spiegel"-Interview. Diese Störungen führt er an Szenen aus Ehe, Familie und bürgerlicher Gesellschaft vor und macht so das Absurde unseres von Regeln und Normen bestimmten Alltags sichtbar.
Im Jahr von Loriots 100. Geburtstag präsentieren Bettina und Susanne von Bülow zusammen mit Regisseur Peter Geyer Loriots große Trickfilmrevue. Für den Film wurden 31 geliebte Trickfilme, die zwischen 1967 und 1993 ursprünglich für das Fernsehen gemacht wurden, im Sinne Loriots behutsam neu gezeichnet, zum Teil erstmals koloriert und ins Kinoformat in 4K übertragen.
Quelle: 73. Internationale Filmfestspiele Berlin (Katalog)
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Für „Loriots große Trickfilmrevue“ wurden sie „behutsam“, so Regisseur und Monteur Peter Geyer, neu gezeichnet. Was bei den frühen Arbeiten aus den 1960er Jahren, die nicht im eigenen Studio Loriots entstanden sind, freilich nicht ausreichte: sie wurden bezüglich der Farben und Gesichter „in seinem Stil“ merklich verändert. Zum 100. Geburtstag Loriots, das Pseudonym ist die französische Bezeichnung für den Pirol, das Wappentier seiner Adelsfamilie, hätten sich Bettina und Susanne von Bülow kein besseres Geschenk ausdenken können für ihren Vater Bernhard-Viktor Christoph-Carl von Bülow. Der bekennende Kinofreund wurde am 12. November 1923 in Brandenburg an der Havel geboren und starb am 22. August 2011 in Ammerland am Starnberger See.
Manches hat sich gesellschaftlich längst überlebt wie der 1977er Film „Das Frühstücksei“, in dem die geplagte Hausfrau ihrem Gatten das Viereinhalb-Minuten-Ei partout nicht in der gewünschten, nein: geforderten Konsistenz vorzusetzen imstande ist. Oder in „Feierabend“ aus dem gleichen Jahr, wo die den ganzen Tag allein daheim gebliebene Hausfrau sich endlich mit jemandem austauschen will – und ihrem Ehemann auf die Nerven geht, der nach der Arbeit einfach nur dasitzen und in Ruhe gelassen werden will. Diese dem Alltag abgeguckten Mini-Dramen entfalten ihre Wirkung auch nach vier Jahrzehnten, was auch für den 1977er „Fernsehabend“ gilt. Darin sitzen die Eheleute vor dem defekten Bildschirm und öden sich an: „Ich lasse mir von einem kaputten Fernseher nicht vorschreiben, wann ich ins Bett zu gehen habe!“
„Das Komische ist man selber, man richtet sich auf sich selbst aus“ hat der Spross einer preußischen Offiziersfamilie, der als klamottiger Kino-Filmemacher („Ödipussi“) ebenso reüssierte wie als ernsthafter Opernregisseur („Martha“, „Freischütz“), zu Protokoll gegeben. Das Wahrscheinliche der Geschichten sei wichtiger als die Wirklichkeit. Es ist nur in Ausnahmefällen ein Lachen aus Schadenfreude, das Loriot erzeugt. Seine Komik liegt in menschlichen Alltagssituationen einer Welt voller Falltüren, Fußangeln und doppelten Böden. Peinlichkeiten bezüglich der gesellschaftlichen Etikette nimmt er ebenso locker-flockig aufs Korn wie Missverständnisse zwischen Menschen, die aneinander vorbeireden, vorzugsweise Mann und Frau.
Wer jetzt die Tücke des Objekts im Spaghetti-Sketch vermisst oder den Streit um den letzten Kosakenzipfel, darf hoffen: Vielleicht folgt auf den gezeichneten Humor demnächst eine Kompilation der herrlichsten Realfilm-Szenen der von 1976 bis 1978 im Auftrag von Radio Bremen entstandenen sechsteiligen TV-Serie „Loriot“: An Vicco von Bülows Seite in den gespielten Sketchen, auch der Sonderepisoden zu seinem 60., 65., 70. und 80. Geburtstag, glänzte seine wundervolle Bühnenpartnerin Evelyn Hamann. „Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur saugen kann“: Politisch korrekt ist dieser Hauptspaß für die ganze Familie freilich nicht.
Pitt Herrmann