Tor zum Himmel

Deutschland 2003 Spielfilm

Tor zum Himmel



Horst Peter Koll, film-dienst, Nr.26, 16.12.03

Für die meisten ist ein großer internationaler Flughafen eine Art "Tor zur Welt", ein aufregender Ort des Reisebeginns, des Aufbruchs und der (nicht immer nur) räumlichen Veränderung. Um das Funktionieren eines solch gigantischen Apparates zu gewährleisten, existiert hinter den Kulissen ein wahrer Dschungel aus labyrinthischen Röhren, Räumen und Netzwerken, das, von der Flugsicherheit bis zur Gepäckverladung, ein extremes Maß an Kontrolle und Logistik verlangt. Zugleich ist der Flughafen aber auch noch etwas anderes, was die eher dunkle Seite des Reisens und Grenzüberschreitens verdeutlicht: ein Hort für Gestrandete, Flüchtlinge und Asylsuchende, die in tristen Unterkünften auf die Erfüllung ihres Schicksals warten. Dies sind die ernüchternd realistischen Koordinaten im Netzwerk von Veit Helmers Film, der ansonsten von ganz anderen Stimmungen angetrieben wird: "Tor zum Himmel" spinnt die Flughafenszenerie zu einem märchenhaften Ort aus, als Szenerie einer von Sehnsucht, Träumereien und dem lustvoll-naiven Spiel mit der Illusion geprägten Welt, wie sie sich allein im Kino zu konstituieren vermag. Klischees und Weltflucht verbinden sich zur "rebellischen" Utopie, dass etwas, was man es sich wirklich wünscht, entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch möglich wird.

Bei Helmer wird Kino zu einem Stück Traumfabrik zwischen Hollywood und Bollywood: unterschiedlichste Kulturkreise verbinden sich zur Liebesgeschichte zweier Menschen, die sich auf der "verborgenen Seite" des Frankfurter Flughafens begegnen. Die junge Inderin Nisha arbeitet in der Putzkolonne des Flughafens und träumt davon, Stewardess zu werden. In ihrer Heimat wartet zudem ihr dreijähriger Sohn, den sie unbedingt nach Deutschland holen will. Heimlich stiehlt sich Nisha nächtens in abseits geparkte Flugzeuge, schlüpft in eine "geborgte" Stewardessen- Uniform und spielt ihre ersehnte Rolle – so intensiv, dass die Illusion gelegentlich zur schönsten Gesangs- und Tanz-"Realität" gerinnt. Gestört wird sie eines Nachts von Alexej, der auch einen großen Traum hat: er will Flugkapitän werden. Doch der Russe, der vor einem drohenden Einsatz im Tschetschenien- Krieg flüchtete, jobbt mit anderen Illegalen aus aller Herren Länder in der unterirdischen Gepäckverladestelle. So sind Nisha und Alexej nicht nur Seelen- und Schicksalsverwandte – bereits der erste Blick verdeutlicht, dass sie als Liebespaar für einander bestimmt sind. Angesichts der schnöden Wirklichkeit mit ihren Kontrollen und Gesetzen, ihrer (Geld-) Gier und den vielen Zwängen ist es nicht leicht, die Liebe von Nisha und Alexej zum Happy End zu geleiten – dazu bedarf es wahrlich herkulischer Drehbuchanstrengungen, vieler Abenteuer, Zufälle, Unwahrscheinlichkeiten und ein wenig schwarzer Magie, die in der Gestalt eines afrikanischen "Heilsbringers" wirksam wird, der, entrückt glücklich und seltsam unbehelligt, durch alle Bereiche des Frankfurter Flughafens flaniert.


Bereits mit dem betörenden Beginn, dem Flug über atemberaubende schöne Wolkenformationen, gibt Helmer Lesart und Stimmung vor: Er hebt förmlich ab von der Realität, die er durchaus registriert, die er aber immer wieder mit viel Chuzpe in Frage stellt und mit "magischen" narrativen Mitteln konterkariert. Wie in seinem ersten langen Kinofilm "Tuvalu" (fd 34 315) kreiert er ein spezifisches "Niemandsland" als Heimstatt entwurzelter und bedrohter Menschen, die mit der utopischen Kraft ihrer Träume, aber ebenso mit Mut und Liebe alle Willfährnisse überwinden. Das ist eine durchweg sympathische, in vielen Details sogar bezaubernde Erzählweise, die im deutschen Kino so gut wie keine Tradition hat; indirekt karikiert Helmer gelegentlich sogar gängige Formen des politischen Betroffenheitskinos deutscher Provenienz, etwa wenn er Hanns Zischler als selbstgefälligen Einwanderungsbeamten Gesetze deklamieren lässt. Diejenigen, die ein wenig ins indische Bollywood- Kino geschnuppert haben, und Kino prinzipiell ohnehin als einen schillernden Ort des Illusionären akzeptieren, werden Helmers Gratwanderung nachvollziehen; zugleich werden sie aber wohl auch bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass der Film die ganz große – und letztlich entscheidende – erzählerische Kraft für eine solche Kino-Utopie nicht aufbringt. Gerade in der rhythmischen Ausbalancierung hakt es mitunter, und die Dichte der Erzählung verpufft mehrfach im etwas zu hektischen Wechsel zwischen Action, Liebe, Dramatik und Komödie. Auch angesichts der arg steifen, die unterschiedlichen Sprachen der Protagonisten unangenehm glättenden und nivellierenden Synchronisation spürt man, dass Helmer womöglich zur Hälfte seines eigentlich sympathischen, unbekümmert-visionären Spiels mit Schein und Sein stehen bleibt.

Rights statement