Gespenster

Deutschland Frankreich 2004/2005 Spielfilm

Die Gespenster der Großstadt

Christian Petzold dreht in Berlin sein neues Drama mit Julia Hummer und Sabine Timoteo in den Hauptrollen.



Katharina Dockhorn, filmecho/filmwoche, Nr. 32, 07.08.2004
Vom schlechten Sommerwetter in Berlin lassen sich die Crew und die Schauspieler von Christian Petzolds "Gespenster" nicht die Laune verderben. In 30 Drehtagen soll der Film im Kasten sein, für den der Regisseur zum fünften Mal mit Koerner & Weber zusammenarbeitet. Für seine siebente Regiearbeit knüpft er auch an eine andere erfolgreiche Kooperation an. Bettina Reitz, bei Team-Worx verantwortlich für "Wolfsburg" und "Toter Mann" betreut das Projekt für den BR/Arte. Arte France Cinéma und Les Films des Tournelles sind die weiteren Partner in der 2,1 Millionen Euro teuren Produktion, die von Piffl Medien ins Kino gebracht wird. FFA, BKM und das Medienboard BB bewilligten Fördermittel.

2,1 Millionen Euro, das sei durchaus komfortabel, um dieses Buch umzusetzen, glaubt Christian Petzold. Der Regisseur wirkt wie ein ruhender Pool am Set im ehemaligen Osthafen unweit der Stralauer Allee und der Oberbaumbrücke. Julia Hummer und Sabine Timoteo kommen in Maske und Kostüm aus den Crewwagen. Für sie steht eine Casting-Szene auf dem Plan, denn ihre Filmfiguren träumen von Ruhm und Erfolg durch die Hauptrollen in einer Fernsehserie.

Sehr präzise hat Petzold die Szene mit den beiden vorbereitet. Er weiß genau, was er will und die beiden Nachwuchsstars fühlen sich durch seine knappen Anweisungen wohl in ihrer Haut. Noch hofft der Regisseur, vielleicht einen Drehtag einzusparen, obwohl ihn keiner dazu anhält. Das regnerische Wetter in Berlin zwingt die Produktion ständig zum Umdisponieren. Ein Drehtag am Potsdamer Platz wurde sogar abgebrochen. "Wir mussten viel hin- und herschieben und haben uns oft erst früh um 10 Uhr zu einem Motivwechsel entschlossen. Das kann ich nur, weil ich mich auf meine eingespielte Crew verlassen kann", erzählt Petzold. Mit den "Heads of Departments" wie Hans Fromm (Kamera), Andreas Mücke-Niesytka (Ton) oder Annette Guther (Kostümbild) bildet der Bundesfilmpreisgewinner ein eingeschworenes Team. Bettina Böhler wird schneiden.


"Es hat auch mit der Präzision zu tun, mit der Christian arbeitet", ergänzt Pressemann Arne Höhne, warum der Film so günstig produziert werden kann. Das Buch erfordert nur wenige Motivwechsel, in denen es Petzold ausschließlich darum gehe, die Schauspieler zu inszenieren und die Geschichte mit adäquaten Mitteln ohne künstliche Effekte zu erzählen, und hätte viele lange Einstellungen, ergänzt Produzent Florian Koerner von Gustorf. Last but not least halte sich Petzold auch an die veranschlagte Arbeitszeit.
Die erste Klappe fiel am 8. Juni in Berlin, wo am 21. Juli auch Drehende war. Am Potsdamer Platz, im Hotel Mariot und im Tiergarten wurden die Locations für die "Fabel" gefunden, wie Petzold sein Projekt einstuft, in der es wie in Kinderbüchern seines Sohnes von der Natur in die Stadt und wieder zurück in die Natur gehe.

In der Hauptfigur Francoise variierte Petzold, der auch das Buch schrieb, ein Motiv von "Wolfsburg". Darin muss eine junge Mutter den Unfalltod ihres Sohnes verwinden und leidet auch darunter, dass der Fahrer nie ermittelt wurde. In "Gespenster" sucht Francoise (Marianne Basler) ihre vor Jahren in Berlin entführte Tochter. Sie kann den Verlust nicht akzeptieren, weil sie die Ungewissheit nicht erträgt, ob ihr Kind noch am Leben ist. Auf ihren Streifzügen durch die deutsche Metropole glaubt Francoise in Nina (Julia Hummer) die Vermisste zu erkennen. Sie versucht ihr und deren Freundin Toni (Sabine Timoteo) zu folgen, verliert die beiden Mädchen im Gewimmel. Neben die beiden Nachwuchsstars schlug Casting-Expertin Simone Bär auch Pierre Aurélien Recoing, Benno Fürmann, Anna Schudt, Claudia Geissler und Peter Kurth vor.

Julia Hummer hat Petzold nach dem Dreh von "Die innere Sicherheit" zu der Idee inspiriert. Immer wieder geraten mutmaßliche Entführungsfälle in die Schlagzeilen, wenn ein Kind spurlos verschwindet und kein Verbrechen nachzuweisen ist. Mehrere hundert Eltern trifft dieses Schicksal jedes Jahr alleine in Deutschland. "Die Ungewissheit und die fehlende Möglichkeit, Trauerarbeit zu leisten, scheinen mir für die Eltern schlimmer als die traurige Gewissheit vom Tod eines Kindes", umreißt Koerner von Gustorf die Dimension des Stoffes.

Die Geschichte reifte mehrere Jahre, bevor Christian Petzold im Frühjahr 2003 ans Schreiben ging. Neben Koerner von Gustorf wurde Bettina Reitz auf Wunsch von Petzold in das Projekt einbezogen. "Sie ist seine Vertraute und Verbündete und er bespricht auch inhaltlich viel mit ihr", verrät der Berliner Produzent über die Kooperation mit der Fernsehspielchefin des Bayerischen Rundfunks. "Wir arbeiten alle auf einer Ebene."


Anne-Dominique Toussaint von Les Films des Tournelles ist die dritte Partnerin des Projektes. Sie hatte Koerner nach der Uraufführung von "Die innere Sicherheit" in Cannes angesprochen, ob sie gemeinsam ein Projekt angehen könnten. Auf diese Anfrage kam der Produzent jetzt gerne zurück, als er einen französischen Produzent suchte, der mit Arte France Cinéma die Verträge abschließt. Rund zehn der 90 Drehbuchseiten seien französisch und werden bei der Kinoauswertung untertitelt, so Petzold, der zur Wahrung der Authentizität Francois und Pierre in ihrer Muttersprache reden lässt.
Der Regisseur dreht im Format 1 : 185, obwohl ihm 1 : 166 lieber wäre. Zuletzt hat er "Innere Sicherheit" in diesem Format gedreht, doch in den Kinos sei er nie so vorgeführt worden. "Also muss man einen Kompromiss machen", glaubt der Regisseur.

Schon jetzt planen Produzent und Verleiher an die Auswertung des Films. Kolja Raschke von der DFFB dreht ein Making-Off. Im November soll "Gespenster" geschnitten sein. "Wir haben aus den eigenen Fehlern gelernt. Zur "inneren Sicherheit" haben wir verzweifelt nach Material für den Start und die DVD gesucht", erklärt Koerner von Gustorf die Entscheidung.

Der Fertigstellungstermin lässt alle Möglichkeiten offen, bei den Direktoren der Festivals von Berlin und Cannes an die Tür zu klopfen. Für den Start denkt Arne Höhne momentan an 35 bis 40 Kopien. "Damit kriegen wir eine gute Auswertung hin. Wenn der Druck von den Kinobesitzern da ist, wird es aber nicht an den Kopienkosten scheitern, größer heranzugehen."

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