Bunte Hunde

Deutschland 1994/1995 Spielfilm

348 für 10

Lars Beckers genresicherer Kriminalfilm "Bunte Hunde"



Peter Körte, Frankfurter Rundschau, 17.08.1995


Quoten entscheiden im Fernsehen wie auf der Rennbahn, und wer unbedingt darauf wetten will, daß ein bundesdeutscher Kriminalfilm über Tatort-Niveau hinauskommt, der bekommt im Erfolgsfall vermutlich mehr als 348 für 10. Auf den Hamburger Filmemacher Lars Becker könnte man dabei ruhig setzen. Der 41jährige hat zwei solide Kriminalromane veröffentlicht (bei Rotbuch) und vier Filme gedreht, darunter ein Kleines Fernsehspiel und eine Dokumentation ums Hamburger Biberhaus, wo die Ausländerbehörde ihr trauriges Geschäft verrichtet. Lars Becker zieht es an die Ränder, in den Halbschatten des Illegalen, wo sich zwischen Gut und Böse eine reiche Skala von Grautönen entfaltet und das Beamtenrecht nicht interessiert. Das ist kein einfaches Geschäft in einem Land, zu dessen erfolgreichsten TV-Exportartikeln "Derrick" zählt.

Nach "Schattenboxer", Beckers vorletzten Film, klingelte freilich das Telefon, und Altproduzent Dino De Laurentiis wollte den Regisseur sprechen, weil dessen Film in Los Angeles, bei einer Vorführung in der Director"s Guild, auf mehr als nur wohlwollendes Nicken gestoßen war. Doch vorerst ist der Draht zu Onkel Dino erkaltet, so daß auch "Bunte Hunde" ohne Dollars oder Lira in der landesüblichen Patchwork-Finanzierung entstand: NDR, Arte, FFA, Hamburger und niedersächsische Filmförderung. Die Firma, die "Bunte Hunde" produziert und die Becker mitbegründet hat, heißt Wüste Filmproduktion. So muß man sich wohl nennen, im deutschen Film, weil man Galgenhumor braucht, um auf der Suche nach der nächsten Oase nicht den Mut zu verlieren.
Wie "Schattenboxer" ist auch "Bunte Hunde" ein Genrestück. Eine rauhe, einfache Ballade um Autoschieber, Freundschaft, kleine Träume, großes Geld und Verrat. Becker besitzt ein Gespür für Atmosphäre und Orte, für die Bewegung in Räumen, und er hat in Benedict Neuenfels" Kamera den Blick gefunden, der die Schauplätze in ihrer traurigen Alltäglichkeit fixiert. Wer zeigt sonst schon Hannovers Vororte, die Betonburgen, der belgischen Atlantikküste oder den Bahnhof von Antwerpen; plattes Land in Niedersachsen, Parkhäuser, Fußgängerzonen, Büros und Wohnungen, die unbewohnbar wirken trotz/wegen ihrer kompletten Einrichtung? Becker läßt dabei genügend Raum um die Figuren, rückt ihnen nicht auf die Pelle: sie können sich entfalten, ohne uns allzu fern zu rücken.


To be is to do: daß Charaktere sich im Kino und zumal im Genrefilm durch ihre Handlungen Gestalt geben, durch wenig Worte und beredte Körpersprache, hat Becker begriffen. Die stilisierte Schäbigkeit der Orte, die kargen Dialoge, der Fatalismus des Handelns, da hat einer seinen Melville studiert, die kleinen Geschichten vom male bonding, von entschlossenen Schweigern, im Netz des eigenen Verrats zappelnden Verrätern und aussichtsloser Liebe, von kleinen Sehnsüchten und großen Enttäuschungen. Mitunter wird man freilich den Eindruck nicht ganz los, Becker habe zu sehr auf den Kredit gebaut, den das Genre gewährt. Zu wenig kümmert er sich um die Motive seiner Figuren, und es fällt auf; daß sie gerade dort ins Vage verschwimmen, wo Frauen ins Spiel kommen.

Mona (Oana Solomonescu) hinterm Wettschalter und Toni, der kantig-listige Autodieb (Peter Lohmeyer) – wie da der Funke zündet? Guru, der fette, brutale Prolo (Jan-Gregor Kemp), der stets den Hemdkragen sorgfältig übers Revers gelegt hat, und die vulgär-exotische Dolores (Catrin Striebeck) mit ihrem Hang zu Tabletten – was dieses Paar zusammenhält? Und wenn die beiden Gangsterbräute, die abgedrehte und die arglose, aufeinandertreffen, wundert man sich, wie wenig die erfahrenen Hamburger Bühnendarstellerinnen Striebeck und Solomonescu miteinander anzufangen wissen, wenn sie streiten sollen. Ihre Worte klingen papiern, ihre Bewegungen wirken beinahe hölzern. Sie bleiben Anhängsel, vernachlässigt von der Inszenierung, und beider Eifersüchtelei und Verzweiflung ist ein loser Nebenstrang, der ins Abseits läuft.

"Bunte Hunde" ist ein Männerfilm. Til Schweiger, den manche nach "Manta, Manta" und "Der bewegte Mann" schon für einen Star halten, zeigt sein etwas blödes, bestätigungsheischendes Lächeln, er füllt den Part Pepes, des ewigen Angebers, der erst redet und zuschlägt und dann denkt, mit Leben. Was ihn mit Guru und Toni verbindet und was sie trennt, skizziert der Film schon in der ersten Szene. Man sieht sie beim kollektiven Autoklau im Morgengrauen: kaum Schnitte, häufige Schärfenwechsel, die die Szene auffächern, eine "innere", rhythmische Montage, die in einen kleinen Gag mündet. Tonis Wagen läßt sich nicht sofort kurzschließen, der Besitzer hat die Batterie abgeklemmt. Toni öffnet die Motorhaube, und sichtlich angewidert blickt er dann auf seine schmutzigen Finger. Im nächsten Bild steht Pepe schon vor Gericht. Solche Ellipsen und Vorgriffe rauhen den Plot auf, profilieren das Wie gegen das Was, den bloßen Handlungsverlauf, der sich in zwei Sätzen resümieren läßt. Einer, Pepe, packt aus, und der zweite, Toni, hält mit ihm den Dritten, Guru, raus. Die Abfolge von Flucht und Liebe, Verfolgung und Tod, Geiselnahme im Knast und Ende im Parkhaus hat ihre eigene Logik. Wie eine Schlinge um den Hals der Akteure zieht sich das Geschehen allmählich zu.


Manchmal sind die Dialoge dabei zu durchsichtig gebaut: Die Pointen platzen wie Knallbonbons, weil einer nur die dankbare Vorlage zum Volley serviert. Stark ist "Bunte Hunde", wo er Worte verknappt und das Potential einer Situation unerwartet ausreizt. An einer Tankstelle werden Guru und seine Braut von Vorstadtstrizzis bedroht. Die Eskalation scheint unausweichlich. Guru richtet seine Waffe auf den Tankwart, siegt und nimmt gleich noch die Kasse mit. Schnell, lakonisch, cool: in solchen Momenten spiegelt die Abgezocktheit des Handelnden auch die der Regie. Es sind solche kleinen Einfälle, die dem Film seine Farbe geben. Durch die Trennscheibe des Wettschalters lernt Toni Mona kennen, später, durch der Trennseheibe im Knast, beginnt die Liebe, doch ohne ein Dazwischen kommen sie nicht recht zueinander. Und das Pferd, das Toni 348 für 10 einbringt, heißt "Fantomas".

Wenn die Schlinge fest um den Hals sitzt, greift der Gangsterkodex. "Und jetzt sage ich nichts mehr" – die letzten Worte des Films sind Pepes Form der Sühne. Toni hat sich in die Kugel geworfen, die dem Freund galt. Das Gesetz des Genres hat sich erfüllt, über die Köpfe und Wünsche der Akteure hinweg, und Lars Becker ist clever genug, diese Fatalität nicht mildern zu wollen. Ein paar Hänger (vor allem während der Geiselnahme im Knast) und ein paar Untiefen der Inszenierung, ein paar Situationen, bei denen man nicht weiß, ob"s das niedrige Budget war oder der Mangel an Erfahrung – viel mehr läßt sich gegen "Bunte Hunde" nicht einwenden. Das ist fast nichts im deutschen Kino, das vor lauter Komödien verkarstet ist und in dem das Krimigenre im Regelfall aussieht, als richte das Fernsehen ein Beamtenheimstättenwerk für Polizisten ein.

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