Irgendwo in Berlin

Deutschland (Ost) 1946 Spielfilm

Irgendwo in Berlin


Walter Lennig, Berliner Zeitung, Berlin/Ost, 20.12.1946


"Irgendwo in Berlin"… irgendwo, wo Trümmerkulissen das Blickfeld umrahmen, groteske Giebelreste zum Himmel starren, Kinder auf Schuttbergen spielen und der harte deutsche Alltag aus den wenigen noch erhaltenen Fensterscheiben blickt.

Der Bombenkrieg hat sich als gründlicher Gleichmacher betätigt, in den Ruinenvierteln verirrt man sich wie in einem steinernen Wald. In diese Ruinenwirklichkeit ist, wie schon der erste "Die Mörder sind unter uns", auch dieser neue DEFA-Film eingestiegen, und er hat recht daran getan, denn gerade die Wirklichkeit, die wir immer sehen und vor uns haben, ist zu entdecken, um begriffen zu werden.

Behandelte der erste DEFA-Spielfilm das Schicksal eines jungen Arztes, der unter dem lähmenden Bann seiner Kriegserlebnisse nicht mehr mit dem Leben fertig wird, so geht es diesmal um ein kollektives Problem: um das Leben der Jugend. Eine Horde von Schuljungen spielt die Hauptrolle, alles vom Krieg gezeichnete und tief beeindruckte Kinder, deren Väter großenteils noch nicht zurück sind oder nie mehr wiederkehren. Kinder, die allesamt mehr gesehen und erlebt haben als früher ganze Erwachsenengenerationen.

Wie beschäftigen sich diese meist mangelhaft beaufsichtigten Kinder? Wofür interessieren sie sich und inwieweit sind sie noch der Lenkung und dem Zuspruch zugänglich? Auf diese Fragen versucht dieser Film eine Antwort zu geben. Er bietet zu diesem Zweck eine Reihe verschiedener Erwachsenentypen an, er leuchtet in zahlreiche Verhältnisse hinein, von denen jedes in seiner Art wieder typisch sein soll und verknüpft am Schluß die Jugendproblematik mit dem Wiederaufbau auf sinnfällige und mitreißende Art.


Gerhard Lamprecht führt eine bewegliche, rastlose und forschende Regie. Er späht seinen Gestalten gerne nach, er belauert sie bei ihren kleinsten und alltäglichsten Verrichtungen, ihm liegt das Mosaik mehr als das Al Fresco. Auch sein Buch ist locker und skizzenhaft-detaillistisch angelegt, es ging ihm augenscheinlich weniger um eine konsequent durchkomponierte Story, als darum, ein Höchstmaß an Beobachtungen und Bezüglichkeiten an die thematische Schnur zu reihen. Daß die Wirklichkeit, der er so leidenschaftlich nachspürte, den thematischen Vorwurf oft geradezu überspielte, gibt dem Film manchmal eine zusätzliche Beschwingung, denn die Realität ist nun einmal die größte und stärkste Inspirantin. So geschieht es zum Beispiel bei der Heimkehrerszene. Aus einer Arabeske lodert fast unvermittelt ein Erlebnis von so bezwingend aktueller Menschlichkeit, daß dies schon allein einen Film getragen hätte. (…)

Der neue deutsche Film, der mit solchen Werken aufwarten kann, wird seinen Weg machen. Möge er auch bald im Ausland von unserem neuen und gewandelten Lebenswillen und zugleich von dem künstlerischen Ernst und der Reife Zeugnis ablegen, die ihn nach so kurzem Anlauf bereits auszeichnen.

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