Der Andere

Deutschland 1912/1913 Spielfilm

Wie ich mich im Film sehe (Drehbericht)


Albert Bassermann, Lichtbild-Bühne, Nr. 5, 1.2.1913


Sie fragen mich, was für einen Eindruck ich empfing, als ich zum erstenmal den Film "Der Andere" meines lieben hochverehrten einstigen Direktors und Regisseurs Dr. Paul Lindau sich auf der weißen Fläche vor meinen Augen abrollen sah. Ich soll also einigermaßen, abgesehen von dem Gesamteffekt, den ich Ihnen schildern soll, auch mich selbst als Darsteller kritisieren. Ich werde mich natürlich hüten, schlecht von meinem Staatsanwalt zu sprechen.

Ich lag an einer blödsinnig verschwollenen Backe, derentwegen auch "Schöne Frauen" in den Kammerspielen Dienstag ausfallen mußten, in meinem Bett und schlief den Schlaf des Gerechten, der viel leiden muß, als meine Frau aus der Pressevorstellung nach Hause kommend, mich mit der Nachricht von dem Erfolg des ersten literarischen Films weckte und sich nicht genug darüber wundern konnte, daß ich so selig geschlafen hatte, während da draußen über das Schicksal dieses ersten Versuchs entschieden wurde.

Also sie brachte mir auch das schöne Programmheft, woraus ich ersah, daß ich keinen Staatsanwalt, sondern einen Rechtsanwalt dargestellt hatte. Wäre mir dieser Umstand vorher bekannt gewesen, so würde ich höchstwahrscheinlich eine diabolische Maske gemacht haben, die im übrigen auch auf dem Film nicht scheußlicher ausgesehen hätte als auf der Bühne, wie einer Ihrer Herren Kollegen, der mir sonst sehr wohlgesinnt ist, vermutete. (...)

Aber nun im Ernst: Natürlich habe ich, bevor wir an die Darstellung des Films gingen, verschiedene Probeaufnahmen von mir machen lassen. Zuerst spielte ich mit meiner Frau eine Szene aus "Othello", und zwar genau so wie auf dem Theater – ohne Rücksicht auf das Objektiv. Das fand ich scheußlich, und meine Frau auch; wir wußten nicht, was die zwei Leute auf der weißen Fläche da wollten. Dann improvisierten wir eine kleine Szene und ließen uns während des Spiels Anleitungen vom Regisseur Mack geben. Das sah schon entschieden besser aus: bildhafter, wenn ich mich so ausdrücken darf.

Ich hatte jetzt so ungefähr begriffen, worauf es technisch ankam; und nun erst gingen wir an den Film "Der Andere". Ich bequemte mich natürlich nicht den sogenannten Kinogesetzen, die es bis jetzt in Wahrheit noch gar nicht gibt, an, sondern das Kino muß sich mir anbequemen, sonst hätte es ja gar keinen Sinn, daß ich da mitspielte.

Die Eigenart des Schauspielers muß natürlich vollkommen gewahrt bleiben!

Wir müssen nur auf eine gewisse Ruhe der Bewegungen achten, und gerade deshalb werden die deutschen Schauspieler sich ganz besonders gut für das Kino eignen, wenn sie erst einmal etwas Anständiges zu spielen kriegen. Die nordischen sind uns im Kino noch ein Stück voraus; ebenso gewisse Franzosen, weil sie schon langjährige Übung haben. Schade, daß sie fast ausnahmslos Schauersensationsdramen spielen, die ich – zu meiner Schande muß ich gestehen! – am liebsten sehe, die eben aber ganz entschieden den Geschmack der Allgemeinheit, den wir auf der Bühne Gott sei Dank einigermaßen gehoben haben, wieder herunterbringen. (...)

Der Idealfilm wird derjenige sein, der alles in Aktion umsetzt und der am wenigsten Text benötigt. Wir werden in dem Film "Der Andere" ruhig verschiedene Texte fortlassen, ohne die Deutlichkeit der Handlung zu beeinträchtigen. Und da in diesem Film, der gerade durch verschiedene Ereignisse der letzten Zeit durchaus glaubhaft erscheint, immer etwas vorgeht, so kann ich auch Ihren Standpunkt nicht teilen, daß er zu lang ist. Wir wollen das ruhig einmal dem Publikum zur Entscheidung geben.

Aus den Erfahrungen bei diesem Film werden wir natürlich unseren Nutzen ziehen und Dr. Lindau wird mir einen zweiten Film schreiben, der sich nach Möglichkeit dem geschilderten Idealfilm nähern soll. Aktion war ja bis vor wenigen Jahren ein Ding, das von sämtlichen Snobs auf der Bühne perhorresziert wurde. Wir werden uns aber nicht genieren, soviel Handlung als möglich in den nächsten Film hineinzuzwängen.

Vor der Hand seien wir froh über das Erreichte. Wie schön wäre es, wenn wir heute gelegentlich Mitterwurzer, Kainz, Matkowsky im Kino wieder aufleben lassen könnten. Ich bin überzeugt, daß unsere großen Elektrotechniker noch zu unseren Lebzeiten einen Apparat zustande bringen, der einfach während der Generalprobe im Zuschauerraum des Theaters aufgestellt wird und die ganze Vorstellung bildlich und tonlich festhält. Kino und Grammophon sind der Anfang zu diesem Ziel.

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