Bittere Ernte

BR Deutschland 1984/1985 Spielfilm

Der Bauer und das Mädchen

Sie hatte sich nicht nur als Assistentin Ihres Landsmanns Andrzej Wajda einen Namen gemacht, bevor Agnieska Holland in Berlin "Bittere Ernte" drehte.


Wolfgang Brenner, TIP Magazin, Nr. 2, 1986

Was ist dieser Leon Wolny bloß für ein Mensch? Strenggläubiger Katholik, verbitterter Emporkömmling, eingedeutschter Pole, einer, der sich mit Schiebern am Besitz deportierter Juden bereichert, ein Feigling und Opportunist. Für den Großbauern Wolny, dem sein Gaul der liebste Gesprächspartner ist, ist der Krieg eine Zeit kollektiver Sühne, durch die man stoisch hindurch muß. Allerdings mit der nötigen Bauernschläue. Es kann auch nichts schaden, dem polnischen Widerstand Sympathien zu signalisieren. Natürlich ohne etwas zu riskieren; das sollen andere, weniger Vorsichtige tun.

Leon Wolny war sicher keine Ausnahmeerscheinung, in den von den Nazis besetzten Gebieten. Etwas eigenwillig in seinen Überlebensstrategien vielleicht. Ansonsten aber ganz der Typ des Mitläufers, des vorgeblich unpolitischen Einzelgängers, der sich in einer religiös geprägten Privatwelt einrichtet, während draußen der Holocaust anläuft. Und trotzdem weiß Leon Wolny nicht, was er will. In seinem Keller versteckt er die Jüdin Rosa. Sie ist ihm in einem entsetzlichen Zustand zugelaufen. Halb verhungert und am Ende ihrer Kräfte. Da wollte der Christ Wolny vor seinem Herrn nicht als Unmensch dastehen. Zudem ist Rosa eine schöne Frau. Und mit Frauen hat der störrische Bauer so seine Schwierigkeiten.

Der reiche Wolny ist einsam. Zwar zwinkert ihm die junge Magd mal zu, aber Leon kann nicht aus seiner Haut heraus; schließlich hat er mit dem Gesinde nichts mehr gemein. Und andere, standesgemäße Verehrerinnen sind entweder gemütliche Matronen oder gehören zu den Leuten, die seinesgleichen früher keines Blickes gewürdigt hätten. Man sieht – was Frauen angeht, steht der etwas verschrobene Mann auf verlorenem Posten.

Da kommt Rosa gerade recht, und die Nächte werden länger im Hause Wolny. Zwischen dem ebenso fürsorglichen wie tobsüchtigen Grobian und seiner verängstigten, aber beileibe nicht zimperlichen Gefangenen entwickelt sich ein heißes Sparring mit ungleichen Chancen. Die Skala der hilflosen Annäherungen reicht von der Schlägerei im Heu, über Vergewaltigung bis zur Christenlehre in der Küche. Und was kaum zu glauben ist: Rosa beginnt sich einzurichten, findet sich ab mit ihrem Versteck, will gar nicht weg, als Wolny die Sache zu heiß wird und er sich etwas mehr auf die mittlerweile verwaiste Gutsbesitzertochter kaprizieren will. Ja, die Jüdin gibt sich Mühe mit ihm, will ihn ändern, hin dazu bewegen, ihren verfolgten Glaubensbrüdern zu helfen – diesen dumpfen Rammelbauer, der sich höllisch abgeplagt mit seinen Gewissensbissen und der aufzehrenden Geilheit.

Nie kann man sich sicher sein mit diesem ungleichen Paar; den beiden ist einfach nicht auf die Schliche zu kommen. Selbst auf den ersten Blick klare Verhältnisse erweisen sich schnell als knifflige Phänomene eines schier undurchschaubaren Komplexes gegenseitiger Abhängigkeiten. Agnieszka Holland, langjährige Mitarbeiterin von Andrzej Wajda, bildet die Undurchdringlichkeit der Handlung der der Realität nach. Das ist ihr gutes künstlerisches Recht, und keiner darf dort Stimmigkeit einklagen, wo das Chaos offensichtlich Grundprinzip ist. Zumal die Radikalität, mit der die Regisseurin der Geschichte dieser widersprüchlichen Beziehung in unmenschlicher Zeit ihre Einsicht abtrotzt, jedem Propheten besserer Verhältnisse das Heft aus der Hand reißt: Solidarität ist eine Illusion, erst recht zwischen Mann und Frau. Paradox dieser egoistischen Logik: Gutes kommt niemals durch gute Menschen zustande, sondern durch Zufall. Etwa durch den unglaublichen Zufall, der die Tochter des von Wolny im Stich gelassenen Juden mit dem Mann Rosas (das Film-Debüt von TIP-Autor Wolf Donner) zusammenführt und zur Flucht nach Amerika verhilft. Das Reisegeld stammt von Leon Wolny, und der staunt nur noch über diesen Scherz des Schicksals. Man kann ihn verstehen. Denn das ist doch etwas zu viel des (unbeabsichtigten) Guten. Das Portrait einer Ausnahmesituation gerät nicht erst hier zu kühnen Skizze. Schon die wuchtige Religiosität, Wolnys flammender Konversionsdruck auf Rosa – das wirkt zu sehr als dramaturgischer Kniff oder, noch schlimmer, als akademischer Zugabe für raffinierte Gemüter.

Armin Mueller-Stahl und Elisabeth Trissenaar sind große Schauspieler. Aber was bleibt ihnen angesichts der Vagheit der Charaktere von Leon und Rosa anderes übrig, als jedem Ton, jeder Geste eine Intensität abzuringen, die der Geschichte weitgehend fehlt? Und wenn das in Bühnenmanier passiert, wenn Gewissensbisse sich in epileptischen Anfällen zeigen und – bei Elisabeth Trissenaar – jedes Wort zu einem raumgreifenden Ereignis wird oder hohl tönt, sobald sie sich auf Kameradimension zurücknimmt, dann sind nur noch zwei zappelnde Figuren in einem weltlosen Verschlag übrig, Täter und Opfer, mit fadenscheinigen, weil beliebigen Motiven. Das würde niemanden ärgern, wenn "Bittere Ernte" nicht mehr zu bieten hätte als einen harten Beziehungsclinch im oberschlesischen Komödienstadel. Aber daß da Unausgesprochenes, Ungezeigtes schwelt, spürt man. Wer würde dieses Ungetüm Leon Wolny nicht gerne kennenlernen? Auch wenn aus dem nervigen Kaleidoskop ein schlimmes Wechselbad von Sympathie und Abscheu geworden wäre. Und wer hätte nicht gerne Rosa verstanden? Ihren Selbstmord vor allem, der mächtig aber auch unvermittelt hereinbricht. Man scheut sich, sich mit den Erklärungen, die der Film anbietet, zufrieden zu geben.

"Bittere Ernte" ist zu ehrlich – viel ehrlicher als "Versteckt" von Anthony Page , um vordergründig zu wirken, und nicht entschieden genug, um für seine aufregend komplizierten Menschen einstehen zu können.

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