Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten

DDR 1973/1974 Spielfilm

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Heinz17herne
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Erster Weltkrieg. Ignaz Wolz holt seinen verwundeten Kameraden Ludwig aus einem Bombentrichter. Zum Verbinden aber gibt es nur minderwertiges Papier: der für Mullbinden benötigte Grundstoff geht statt an die Front, wo er dringend benötigt wird, um Leben zu retten, an die Miederwarenindustrie, weil er dort mehr abwirft.

Als der Krieg vorbei ist, die Monarchie abgedankt hat und die Militärs abgemustert haben, setzt Wolz seinen Schwur, sich an den Kriegsgewinnlern zu rächen, in die Tat um. Mit einer Handvoll Gleichgesinnter radelt er zur Villa des Fabrikanten Rohne (Erich Gerberding) und zwingt ihn, 150.000 Mark Buße zu zahlen – ganz ordnungsgemäß gegen Quittung. Der nächste Weg führt die nur leicht bewaffnete Gruppe ins Rathaus, wo dem Bürgermeister (Wolf Goette) 50.000 Mark ausgehändigt werden, um davon Lebensmittel für die hungernden Kriegerwitwen und deren Kinder zu kaufen.

Der Kassierer führt exakt Buch über die Einnahmen und Ausgaben der rasch wachsenden Freischärler-Bewegung, die sich weitgehend aus befreiten Gefängnisinsassen rekrutiert und sich aus den Beständen überfallener Polizeiwachen bewaffnet. Auch sein Kriegskamerad Ludwig wird auf solch' handstreichartige Weise befreit. Der engagierte Sozialist versucht vergeblich, Wolz' unbändigen Hass auf die kapitalistischen Ausbeuter zu kanalisieren: Ignaz könne auf Dauer keinen erfolgreichen Krieg gegen die Reichen führen. Auch wenn er sie nicht aus Eigennutz beraube, sondern um das Geld den Armen zu geben. Wofür Wolz im ganzen Land bewundert, wenn nicht gar verehrt und geliebt wird.

Zunehmend aber auch gefürchtet. Und das nicht nur von den reaktionären Kräften, die sich zusammen mit den Militärs neu formieren, um die noch junge Demokratie, in der die freilich in verschiedene Lager gespaltene Linke die parlamentarische Mehrheit hat, zu untergraben. Die Summen auf den Wolz-Steckbriefen, die für seine Ergreifung ausgelobt sind, steigen rasch auf ein Vielfaches der ursprünglichen 50.000 Mark – vor der Inflation.

Die Krankenschwester Agnes, die in einem Moment höchster Bedrängnis zur Wolzschen Truppe stößt, um bei ihr zu bleiben, wird als Kurier nach Berlin geschickt. Sie soll dem inzwischen als Redakteur tätigen Genossen Ludwig Geld und Informationen zukommen lassen, damit wenigstens in einigen Medien ein zutreffendes Bild der wilden Gruppe um Wolz aus der mitteldeutschen Provinz gezeichnet wird. Ludwig freilich gibt seine Bemühungen, den Tatendrang des Anarchisten in revolutionäre Bahnen zu lenken, nicht auf. Weshalb er sich selbst aufmacht, um seinem einstigen Lebensretter das Geld zurückzubringen und ihn für die Arbeiterbewegung zu gewinnen. Vergeblich.

Agnes, die inzwischen ein Verhältnis mit Ludwig hat, ist als höhere Tochter im Internat aufgewachsen und durfte nur ein ungeliebtes Kunststudium aufnehmen. Sie wird nun von ihrem Vater (Wolfgang Brunecker) an die Kandare genommen und muss künftig, im Geschäft eines Onkels, ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Papas stille Hoffnung: Das wird ihr die linken Flausen schon vertreiben. Als ihre Zimmerwirtin das Porträt von Karl Marx auf einer Anrichte entdeckt, ist die Frau Major ganz begeistert: „Imposant, der Herr – Verwandtschaft?“

Nur eine der zahlreichen Schmunzel-Szenen in einem knapp zweistündigen Breitwand-Farbfilm, der aus der Babelsberger Historien-Produktion ganz generell heraussticht. Gehört dieser Ignaz Wolz doch nun wirklich nicht zu den Vorbildern, wie sie die SED-Ideologen auf der Leinwand sehen wollen. Er ist und bleibt ein unberechenbarer Anarchist, der sich wie Robin Hood gebärdet und unter keine rote Fahne zwingen lässt. Seinen charismatischen Charakter und seine mitreißende Eloquenz könnten die Sozialisten gut gebrauchen, die sich zunehmend in Straßenschlachten mit Nazis aufreiben.

Weshalb sich Agnes überreden lässt, Wolz, der schließlich doch vor der Staatsmacht kapitulieren musste und zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, im Gefängnis zu heiraten. Zusammen mit ihrem Geliebten Ludwig ist sie die treibende Kraft, aus Wolz eine Art Volkstribun der arbeitenden Klasse zu machen. Dafür wird sie von ihrem Vater verstoßen und enterbt. Sieben Jahre lang kämpfen die Genossen unermüdlich für seine Freilassung.

Als es soweit ist, wird Wolz zuerst von Bierkutschern auf der Straße erkannt und im vierspännigen Triumphzug zu Agnes gefahren. Wo er erkennen muss, dass seine Frau nur auf dem Papier seine Gattin ist. Ein Grund mehr, Agnes den Parteiauftrag zurückzugeben. Wolz will auf keine Moskauer Parteischule, aber ein Nazi werden wie sein alter Kumpel Morgner schon gar nicht. Er will seine anarchistische Haltung nicht aufgeben, weshalb er Deutschland verlässt, um einen Platz zu suchen, wo solche Leute wie er gefragt sind - und sei es jenseits des Großen Teiches...

Bis heute tut sich die Defa (-Stiftung) schwer, das reale Vorbild der Wolz-Figur beim Namen zu nennen: Max Hoelz. Der 1889 in Moritz bei Riesa geborene Sohn einer vielköpfigen Landarbeiterfamilie ist am 15. September 1933 nicht in der Orka ertrunken, wie von der SED-Geschichtsschreibung behauptet. Der als guter Schwimmer bekannte Hoelz ist vielmehr von der sowjetischen Geheimpolizei ermordet worden, nachdem ihn der NKWD zuvor der Teilnahme an einer konterrevolutionären, terroristischen und trotzkistischen Verschwörung bezichtigt hatte. Das kann man heute in der biographischen Datei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur nachlesen.

Wie eng die Filmbiographie des Ignaz Wolz an die Biographie von Max Hoelz angelehnt ist, zeigt sich an beinahe allen Lebensstationen des zunächst unpolitischen Arbeitersohns, der 1908 nach London ging und sich als Küchenjunge und Wagenwäscher verdingte, um sein Polytechnikum-Studium in Chelsea zu finanzieren. 1910 wieder in Deutschland schloss er sich zunächst evangelischen Verbänden an. Als dekorierter Kriegsfreiwilliger desillusioniert nach Falkenstein zurückgekehrt, trat Hoelz 1918 in die USPD ein, um ein Jahr später Mitbegründer der vogtländischen KPD zu werden. Wo er eine „Rote Armee“ befehligte zur Niederschlagung des Kapp-Putsches. 1920 wegen Disziplinlosigkeit aus der KPD ausgeschlossen, befehligte Hoelz in Mitteldeutschland die „Rote Garde“ der linksradikalen KAPD, bevor er 1921 verhaftet und in Berlin zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt wurde. Nachdem sich 1927 Persönlichkeiten wie Bert Brecht, Albert Einstein, Heinrich und Thomas Mann für seine Begnadigung eingesetzt hatten, kam er im Jahr darauf frei und übersiedelte 1929 nach Gorki in die Sowjetunion, wo er jedoch bald in Konflikt mit der stalinistischen Politik geriet.

Günther Rücker und Günter Reisch haben gegen manche Widerstände ein mutiges, hochkarätig besetztes Filmprojekt realisiert, das kurz nach der Uraufführung am authentischen Ort des Geschehens, in der Lutherstadt Eisleben, unter großem öffentlichem Tamtam im Jugendclub „X. Weltfestspiele“ gezeigt wurde. Max Hoelz hat geholfen, den Kapp-Putsch der Rechten niederzuschlagen und war wesentlich beteiligt an den Märzaufständen 1921 im Mansfelder Land und in Leuna, die sich rasch wie ein Flächenbrand auf ganz Mitteldeutschland ausweiteten. Er hat sich halt keiner Parteidisziplin unterworfen: Aus der Sicht zahlloser kritischer offiziöser Stimmen in der DDR konnte aus solch' anarchistischem Material kein Volksheld geschnitzt werden.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Duration:
3003 m, 110 min
Format:
35mm, 1:1,66
Video/Audio:
Farbe, Ton
Screening:

Uraufführung (DD): 31.01.1974, Berlin, Kosmos

Titles

  • Originaltitel (DD) Wolz. Leben und Verklärung eines deutschen Anarchisten

Versions

Original

Duration:
3003 m, 110 min
Format:
35mm, 1:1,66
Video/Audio:
Farbe, Ton
Screening:

Uraufführung (DD): 31.01.1974, Berlin, Kosmos