Ein Weimarfilm

DDR 1976/1977 Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Zu Johann Sebastian Bachs Präludium Nr. 1 C-Dur, er war Konzertmeister und Organist in Weimar, rahmt der Musentempel im Schlosspark von Tiefurt Jürgen Böttchers 69-minütige Hommage zum tausendjährigen Bestehen der Hauptstadt der deutschen Klassik, die auch den erschreckend kurzen Schritt von der Kultur zur Barbarei thematisiert: Auf historische Fotografien der Naturfreunde Ettersberg folgen Aufnahmen vom Konzentrationslager Buchenwald. Dennoch bleibt der Grundton der Defa-Dokumentation positiv-optimistisch: Die Zukunft gehört dem sozialistischen Deutschland, das – inzwischen – nicht nur sein proletarisches Erbe pflegt.

Werner Kohlerts Kamera zeigt die Innenräume des Goethehauses, schwenkt dann hinüber zur Ilm, um zu Besuchern des Schillerhauses zurückzukehren. Vom bildungsbürgerlichen Tourismus zur Arbeitswelt in der DDR: Eine Uhrmacherin wird bei ihrer größte Präzision erfordernden Tätigkeit im Weimarer Uhrenwerk gezeigt, später beherrscht die eindrucksvolle Produktionshalle des Landwirtschaftsmaschinenbau-Herstellers „Weimar-Werk“ die Leinwand.

Bevor es bunt und laut und fröhlich wird: Männer und Frauen in Rokoko-Kleidung verteilen Flugblätter mit historischen Zeichnungen an die Zaungäste des Festumzugs zum 1.000-jährigen Bestehen Weimars. Der weist mit Themenwagen aus der Geschichte der Stadt u.a. auf die Nationalversammlung 1919 hin, auf KPD-Aufmärsche in den Revolutionsjahren 1918/19 und auf den Kapp-Putsch, an dessen Opfer ein 1921 von Walter Gropius entworfenes Denkmal erinnert.

Mitte der 1970er Jahre ist die Zeit gekommen, wo auch das Reiterstandbild von Karl August von Sachsen vor dem nun als Hochschule für Musik Franz Liszt dienenden Fürstenhaus ins Bild rücken darf. Und das Residenzschloss samt Kanone im Innenhof. Aus dem Wittumspalais, dem langjährigen Witwensitz der Herzogin Anna Amalia, ist ein Museum geworden, das an das einstige Zentrum des gesellschaftlichen und literarischen Lebens der Goethe-Zeit erinnert.

Natürlich geht es, im Wechsel mit Szenen aus der sommerlich belebten Fußgängerzone des Touristenmagneten, um die Klassiker Goethe, Schiller, Herder und Hegel, aber auch um Bildende Künstler wie Lucas Cranach d. Älteren und Musiker wie Franz Liszt sowie um die Kunstgewerbeschule und das Bauhaus mit Lyonel Feininger und Wassily Kandinsky. Aufnahmen des Cranachhauses am Marktplatz werden mit Bildern seiner Gemälde und des Grabsteins collagiert, das Herder-Denkmal vor der gleichnamigen Kirche gezeigt und, als ideale Verbindung vom Gestern zum Heute, der Kasseturm.

Um 1500 als Turm der Stadtmauer erbaut gestalteten Studenten des 3. und 5. Studienjahres der Hochschule für Architektur und Bauwesen (heute: Bauhaus-Universität) das zweigeschossige Gebäude zum FDJ-Club um, der die Wende (nun ohne die Blauhemden der Freien Deutschen Jugend) überstanden hat und heute als Deutschlands ältester Studentenclub gilt (was die Burschenschaften und andere traditionsreiche akademische Verbindungen freilich bestreiten würden). Eher verschämt-kurz der Blick auf neue Plattenbauten an der Peripherie.

Auf Bilder einer Besuchergruppe in Goethes Wohnhaus am Frauenplan und einen Blick in den idyllischen Park an der Ilm mit den Besuchsmagneten Römisches Haus und Goethes Gartenhaus folgt ein von Jürgen Böttcher bewusst gesetzter harter Schnitt auf das KZ Buchenwald, in dem Ernst Thälmann ermordet wurde. Wochenschauaufnahmen vom 11. April 1975 zeigen die Eröffnung der Ausstellung „Lebenswille hinter Stacheldraht“, dazu historischen Fotografien und künstlerische Zeugnisse, darunter Zeichnungen ehemaliger französischer KZ-Insassen.

„Buchenwald – die blutige Konsequenz des Faschismus“: Der von Roland Steiner gesprochene Kommentartext ist zumeist zurückhaltend-nüchtern, aber von klarem Bekenntnis zur sozialistischen deutschen Republik geprägt. Schüler-Führungen im Goethehaus werden mit Worten Johannes R. Bechers und Walter Benjamins, fröhlich-bunte Straßenszenen von heute mit entsprechenden Zitaten Jean Pauls unterfüttert. Und am Ende auch noch ein internationalistischer Gegenwartsbezug: Schluss mit dem Vietnam-Krieg. Musste wohl sein wie die beiden O-Ton-Auftritte Horst Sindermanns, 1976 als Vorsitzender des Ministerrats der DDR zum Präsidenten der Volkskammer aufgestiegen.

Pitt Herrmann

Credits

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Titles

  • Originaltitel (DD) Ein Weimarfilm
  • Arbeitstitel (DD) 1000 Jahre Weimar

Versions

Original

Duration:
1890 m, 69 min
Format:
35mm, 1:1,37
Video/Audio:
Orwocolor, Ton
Screening:

Erstaufführung (DD): 30.09.1977