Ein seltsamer Heiliger

Deutschland 1995 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Sein 1975 am Maxim-Gorki-Theater (Ost-) Berlin uraufgeführtes Lustspiel „Ein irrer Duft von frischem Heu“ war einer der größten Bühnenerfolge Rudi Strahls wie auch Roland Oehmes Defa-Verfilmung von 1977 mit Peter Reusse als Mattes Mathias ungeheure Popularität erreichte. Exakt zwanzig Jahre später hat Rudi Strahl (1931 – 2001) mit „Ein seltsamer Heiliger oder: Ein irrer Duft nach Bibernell“ eine Fortsetzung geschrieben, 1995 im Eulenspiegel Verlag Berlin erschienen und noch im gleichen Jahr zusammen mit dem von Peter Sodann geleiteten Neuen Theater Halle als knapp neunzigminütige TV-Inszenierung von Saxonia Media für den Mitteldeutschen Rundfunk adaptiert. Verbindendes Element beider Lustspielfilme ist die Darstellerin der Lydia Krumm, die in den 1970er Jahren noch Ursula Christowa-Staack hieß.

Die Zeit bleibt halt nicht stehen. Das mecklenburgische Dorf Trutzlaff liegt nun vierzig Kilometer von Suhl entfernt in Thüringen, aus dem überzeugten Jungpionier, SED-Genossen und hellseherischen Parteisekretär Mattes „Matti“ Mathias ist nun ein parteiloser Bürgermeister geworden, dessen Büro aber immer noch ein Porträtbild von Karl Marx ziert. In dessen Rahmen steckt freilich auch ein kleines Foto seines „Engelchen“ Dr. phil. Angelika Unglaube: die einst so prinzipienfeste Kommunistin ist frisch gewendet CDU-Mitglied geworden und ist nun bei der Erfurter Landesregierung tätig. Und Mutter Roloff (Hanna Donner) ist ganz versessen auf das Kapitalisten-Brettspiel „Monopoly“.

„Es ist vorbei“: Gemeint ist nicht die – immer wieder erfolglose – Absetzbewegung Angelikas von „Matti“, sondern Lydia Krummes Scheidung von ihrem nur „der krumme Paul“ genannten Gatten. Ein untreuer Mistkerl zwar, aber immerhin ein Kerl, weshalb Lydia sich nun an Matti heranwanzt, wo sich sein Engelchen doch in die Landeshauptstadt absetzen will und nur noch einmal nach Trutzlaff zurückgekehrt ist, um ihre letzten Sachen mitzunehmen. Doch hat Angelika nicht mit der rauschhaften, von „Balkanfeuer“ aus dem Konsum noch verstärkten Wirkung von Bibernell gerechnet. Einem fast in Vergessenheit geratenen Kraut, das zur Herstellung ätherischer Öle verwendet werden kann, aber in Verbindung mit anderem Grünzeug auch sonst gute Dienste leistet.

Lydia, einst Sekretärin der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft „Frohe Zukunft“, ist nun Geschäftsführerin der Gesellschaft mit beschränkter Haftung gleichen Namens. „Sozialfürsorge für bessere Leute“ nennt sie die Treuhand, die Wessis alle leitenden Positionen bis hin zum Kreisarzt zugeschanzt hat. Die Probleme sind geblieben, nur kommen die kontraproduktiven Direktiven nicht mehr aus Ost-Berlin, sondern von der Europäischen Union aus Brüssel. Wo so manche herkömmliche Anbaumethode durchs Förder-Raster der EU-Bürokraten gefallen ist. Elf Hektar besten Ackerbodens mussten stillgelegt werden, weshalb Paul Krumme nun die vom Vater geerbte, zu dessen Lebzeiten aber schon an die evangelische Kirchengemeinde verpachtete und seitdem als Friedhof genutzte Fläche zurückhaben möchte. Für Kartoffelanbau und Rosenzucht.

Was den Pastor Himmelsknecht naturgemäß auf die Palme bringt. Der trotz Umsturz und Wende noch in Amt und Würden ist: „Kann ja nicht jeder Pastor in die Politik gehen.“ Der evangelische Himmelsknecht erhält unverhofft Beistand von einem katholischen aus dem fernen Rom in Person des Monsignore Romeo Aventuro, den einst im hohen Norden der irre Duft von frischem Heu verwirrte, als er der Mär vom zweiten Gesicht des kommunistischen Parteisekretärs Mattes auf den Grund gehen wollte. Nach siebenjähriger Buße unter totalem Schweigegelübde in einem Trappistenkloster ist er in die Abteilung ZM (Zeitgenössische Mirakel) am Heiligen Stuhl versetzt worden und nun erneut im Auftrag des Vatikans bei Matti, um die Gerüchte eines Heiligenscheins am Haupt des wie zu alten Zeiten mit 99,9 Prozent der Stimmen gewählten Bürgermeisters zu verifizieren.

Lydia hat soeben ihr ganzes Füllhorn an Ideen für Trutzlaffs marktwirtschaftliche Zukunft ausgeschüttet, vom Züchten kleinerer Rinder-Rassen zur Erbauung großstädtischer Öko-Touristen bis hin zum Moorbad mit Anerkennung als Kurort, da meldet sich die adlige Vergangenheit in Person eines jungen, reichlich abgerissen aussehenden Australien-Rückkehrers: Eugen Graf Trutz zu Trutzlaff steht plötzlich im Bürgermeister-Büro, Nachfahre des in der DDR als Kulturhaus und Feudalmuseum genutzten Herren auf der inzwischen arg baufälligen Burg oberhalb des Ortes. Er ist nicht abgeneigt, im alten Europa Wurzeln zu schlagen, denn: „Die Menschen hier sind so freundlich, fast wie Aborigines“…

„Ein seltsamer Heiliger“ ist eine ziemliche Klamotte, in der sich am Ende die Ereignisse überschlagen: Monsignore Aventuro muss für den Suhler Pastor, der bei der Beichte eines Fraktionsvorsitzenden mit Herzinfarkt dahingerafft wurde, einspringen, Dr. Angelika Unglaube soll nach Brüssel zur Europäischen Union versetzt werden – und der junge Graf Trutz wäre nicht abgeneigt, Lydia Krumm zu heiraten und den krummen Paul zu adoptieren. Dann mutierte Lydias „Ex“ zu ihrem Sohn Paul.

Das von Hans-Werner Honert produzierte Lustspiel lebt von treffender Nachwende-Kritik in pointenreichen Dialogen eines bestens aufgelegten achtköpfigen Ensembles in einer von Jörg Scheffel vom Defa-Nachfolger Drefa Atelier Dresden ausgestatten Einheitsbühne (Bühne: Volker Kosbab, Kostüme: Anneliese Pulst, Musik: Helmar Federowski). Das Alfred Kirchner mit seinen Mitstreitern (Ulrich Faber, Horst Rudolph, Ina Kredewahn und Eva-Maria Boege) sehr lebendig ins rechte Kamera-Licht gestellt hat.

Pitt Herrmann

Credits

Director

Screenplay

Director of photography

Cast

All Credits

Duration:
89 min
Video/Audio:
Farbe, Ton
Screening:

TV-Erstsendung (DE): 30.12.1995, MDR

Titles

  • Originaltitel (DE) Ein seltsamer Heiliger

Versions

Original

Duration:
89 min
Video/Audio:
Farbe, Ton
Screening:

TV-Erstsendung (DE): 30.12.1995, MDR