Feierabend

DDR 1963/1964 Kurz-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Arbeiter des Erdölverarbeitungswerk (EVW) Schwedt, dem nach Fertigstellung modernsten Werk der Republik, waten in Gummistiefeln über schlammige Wege, aus denen einmal Straßen werden sollen, kolonnenweise zum Bahnsteig, wo sie auf den Zug warten, der sie nach Feierabend zu ihren Baracken-Unterkünften bringt. Noch ist das DDR-Renommierobjekt nahe der „Oder-Neiße-Friedensgrenze“ eine der größten Industriebaustellen der Republik.

Karl Gass in „Filmwissenschaftliche Mitteilungen“ (Ost-) Berlin 2/1964: „So wollten wir mit ‚Feierabend‘ einmal auf andere Weise einen kleinen, besonderen Beitrag leisten zu einer der schönsten Aufgaben, die die Partei sich und uns allen gestellt hat: einen neuen Menschen zu formen, der sich wissend, beharrlich, fröhlich und leidenschaftlich eine neue Welt erbaut.“

Karl Gass begleitet mit seinem Team eine Brigade, die Rohrleitungen verlegt. Das EVW Schwedt stellt aus sowjetischem Erdöl Chemieprodukte her, die im ganzen Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) genannten Ostblock gefragt sind. Die Arbeiter kommen aus allen Teilen der Republik zum „Bau der Jugend“. Und die Jungen haben offensichtlich großen Spaß, mit Motorrädern crossmäßig durchs wellige Gelände zu jagen.

1.600 Arbeiter leben in der Barackensiedlung. Sie müssen in der „Taiga“ auf ein städtisches Kulturleben mit Kino und Theater verzichten: „Hier in Schwedt ist alles schwieriger“ lässt sich Karl Gass aus dem Off vernehmen. So bilden sich nach Feierabend lange Schlangen vor dem Konsum, der bis 19.30 Uhr geöffnet hat. Bier in Bügelflaschen werden holzkistenweise in die Baracken getragen, wo in den Kochnischen Spiegeleier brutzeln. Männer können auch nähen, stopfen, waschen und bügeln – ganz ohne weibliche Hilfe.

Während in der werkseigenen Kantine der staatlichen Handelsorganisation (HO) das Bier aus den Zapfhähnen in Strömen fließt, herrscht auch an den Tischtennis-Platten, Billard- und Schachtischen reger Betrieb. Stille dagegen in der Bibliothek, demnächst soll auch ein Bücherbus regelmäßig für belletristischen Nachschub sorgen. Bei den Freizeitmalern herrscht der sozialistisch-realistische Stil vor, Motive der Bilder sind die Baustelle, aber auch Naturstudien. Der Musik-Zirkel kommt im Probenraum zusammen, mit Saxophon, E-Gitarre und Schlagzeug gibt’s westliche Evergreens wie „Hello Mary Lou“ und flotten Hillbilly-Sound.

Im Kabarett-Zirkel ertönt „Die Moritat von Mackie Messer“ aus der „Dreigroschenoper“ – mit neuem, auf Schwedt bezogenen Text. Im nächsten Programm der Gruppe, in der auch Frauen mitmachen, wird dieses Gedicht zu hören sein: „Wo man Sand statt Kohle verbrennt / wo man kennt weder Strauch noch Bäume / das ist Schwedt, Stadt meiner Träume.“ In der HO-Kantine wird derweil zu West-Mucke der Liveband „Die Cortins“ gehottet und getwistet was die gerade noch müden Beine nach bis zu 15-stündiger Schicht (!) hergeben. Allerdings geht’s am anderen Morgen um 5 Uhr mit Bus und Bahn zur Schicht. „Kerle seid ihr, Tschüss!“ ruft ihnen Karl Gass zum Abschied zu – nach einem Rundblick aus der Vogelperspektive über die gigantische Baustelle.

„Feierabend“, von Michael Biegholdt und Gerhard Münch teilweise mit versteckter Kamera gedreht, zeigt ein erstaunlich ungeschminktes Bild von der höchst unterschiedlichen Feierabendgestaltung der Schwedter Arbeiter. Der in der Wolle gefärbte SED-Sozialist Karl Gass lässt keinen Zweifel daran, dass für ihn der Weg zum neuen sozialistischen Menschen noch ein langer ist. Vom Britischen Filminstitut zum „weltbesten Dokumentarfilm“ des Jahres 1964 gekürt, befanden Enno Patalas und Wilfried Berghahn nach der westdeutschen Erstaufführung in der Zeitschrift „Filmkritik“: „Denselben Film hätte man in Oberhausen drehen können.“

Regieassistentin bei diesem 27-minütigen Kurz-Dokumentarfilm war neben Werner Wüst die spätere Gattin des Regisseurs, Gitta Nickel. „Feierabend“ ist am12. Februar 1964 im Kulturhaus des EVW Schwedt uraufgeführt worden und am 2. Oktober 1964 als Beiprogramm zum Hauptfilm in den Kinos angelaufen – parallel zur bundesdeutschen Erstaufführung bei den Kurzfilmtagen Oberhausen. Wie auch bei seiner zwei Jahre später entstandenen 75-minütigen Nachfolgedokumentation „Asse“ über die Magdeburger Brigade Habener in Schwedt musste der Nestor des Defa-Dokumentarfilms Karl Gass zur Kenntnis nehmen, dass seine unverstellte Sicht auf die realen Verhältnisse beim Dokfilmfestival Leipzig unerwünscht waren.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Duration:
343 m, 13 min
Format:
35mm
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Uraufführung (DE): 02.10.1964, Oberhausen, Westdeutsche Kurzfilmtage

Titles

  • Originaltitel (DD) Feierabend

Versions

Original

Duration:
343 m, 13 min
Format:
35mm
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Uraufführung (DE): 02.10.1964, Oberhausen, Westdeutsche Kurzfilmtage