Frau fährt, Mann schläft

Deutschland 2003/2004 Spielfilm

Frau fährt, Mann schläft

Rudolf Thome erzählt eine Familien-Geschichte


Karlheinz Oplustil, epd film, Nr.11, 02.11.2004

Die glücklichste Familie von Deutschland soll das sein, der Berliner Philosophieprofessor Anton (Karl Kranzkowski), seine Frau, die Zahnärztin Sue (Hannelore Elsner) und ihre vier Kinder, alle umsorgt von einer jungen, engelsgleich-fürsorglichen Haushälterin (Serpil Turhan). Zumindest die jüngste Tochter sieht das so, und deshalb gibt es einen Auftritt der Familie in einer Talkshow, bei dem man auch erfahren kann, dass sich "Denken und Kinder" nicht zwangsläufig ausschließen. Der Anschein von Erfolg und Glück aber trügt. Der älteste Sohn leidet an schlimmem Liebeskummer und fühlt sich krank, Sue ist heftig in einen anderen Mann (Hanns Zischler) verliebt, und Anton hat eine Affäre mit einer blonden Studentin (Eva Herzig).

Wenn diese Verhältnisse geschildert werden, in denen sich die Personen offenbar ganz gut eingerichtet haben, hat das beinahe den Tonfall eines amüsanten Boulevardstückes, in dem nur gelegentlich irritierende Momente aufscheinen: Sues Anhänglichkeit an ein altes Springseil etwa, oder die Beschwörung der Katastrophe in einem Ameisenhaufen, wenn dort ein Stein hineinfällt, alles rennt durcheinander, und die Leichen werden abtransportiert. In seiner Vorlesung beschäftigt sich Anton mit der Zeit und erkennt: "Der Tod ist der Austritt aus der Zeit."

Wieder erzählt Rudolf Thome eine tückisch einfache Geschichte, in die er ganz beiläufig Erkenntnisse und Ideen von ungeheurer Spannbreite und philosophischer Brisanz einbringt. Der Umzug der Familie weist da schon auf ganz andere Umbrüche hin, vom Chaos in einem Ameisenhaufen ist es nur ein Gedanke zum Kollaps eines Sternensystems. Der Titel "Frau fährt, Mann schläft" zitiert einerseits ganz direkt den Anfang von "Viaggio in Italia" des von Thome bewunderten Roberto Rossellini, über den er in einem Band der Reihe Hanser geschrieben hat: ein englisches Ehepaar unterwegs in Italien, Ingrid Bergman fährt, George Sanders schläft, dann hält sie an, und sie tauschen die Plätze. Andererseits ist die Aufmerksamkeit für einen so banalen Vorgang aber auch schon ein bestimmtes ästhetisches Programm, das Thome mit Rossellini und anderen Regisseuren der filmischen Moderne teilt: dass sich die Welt erschließen lässt, wenn ihre äußeren Erscheinungen sorgfältig und genau festgehalten werden, mit einem Effekt, den Gottfried Benn auf die Formel gebracht hat: "Die Tiefe ist außen".

Letztlich geht es in Thomes Geschichte mit vielen Facetten um Veränderungen, um Bewegung in erstarrten Verhältnissen und die Fähigkeiten der Menschen, mit Veränderungen zu leben. Das Gehirn kann sich nach einem Zusammenbruch wieder erholen, und am Computer, so weiß der jüngere Sohn, ist es sowieso einfach: "Neustart." Ziemlich genau in der Mitte kommt es auch zu einer Neubesinnung des Films. Da hat das Schicksal mit elementarer Wucht zugeschlagen, der ältere Sohn Thomas (Markus Perschmann) ist überraschend gestorben. Mit großem Ernst werden nun die unterschiedlichen Reaktionen der Familie auf diese Katastrophe verfolgt. Für Sue, die eigentlich jede Veränderung hasst, ist sie Anlass, ihre Ehe überhaupt in Frage zu stellen. Im psychologisch ungemein genauen Spiel von Hannelore Elsner und Karl Kranzkowski entsteht daraus ein dichtes Drama, in dem noch ein falsch erinnertes Vaterunser auf dem Krankenhausflur zum Ereignis wird. Bis zum Schluss bleibt offen, ob der Ehering am Strand von Sardinien ins Meer geworfen wird oder nicht.

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