Darsteller, Regie, Drehbuch, Musik, Produzent
München

Vereisungen der Seele

Interview mit Dominik Graf



Margret Köhler, film-dienst, Nr. 6, 12.03.2002

Mit "Der Felsen" meldet sich Dominik Graf erstmals nach "Die Sieger" (1994) wieder im Kino mit einem Spielfilm zurück. In seinem packenden Frauenporträt erzählt er vom Ende einer Liebe auf Korsika und dem Anfang einer Suche nach sich selbst. Als einer von vier deutschen Wettbewerbsbeiträgen lief der Film auf der "Berlinale" und stieß auf kontroverse Reaktionen vom höchstem Lob bis zum erbarmungslosen Verriss.
Ist die "Berlinale" wieder attraktiv für deutsche Regisseure?

Graf: Lange machten deutsche Regisseure einen großen Bogen um die "Berlinale", aber mit Dieter Kosslick scheint sich eine Trendwende anzubahnen. Ein Festival ist immer eine gute Plattform, aber dennoch schafft es nicht jeder Film ins Kino. Einen Freifahrtsschein für Erfolg gibt es nicht.

Im Mittelpunkt Ihres Films steht eine Frau, die den Boden unter den Füßen verliert. Sind Männer prädestiniert für Frauenfilme?

Graf: Ich bin da zwiegespalten. Es heißt: Frauen verstehen mehr von Gefühlen. Männer nähern sich Frauenthemen dagegen mit Vorsicht und spielen gleichzeitig ihren männlichen Egoismus aus, indem sie auf den Punkt kommen, der sie an der Figur interessiert. In den Frauenfilmen von Ingmar Bergman lag ein sehr starker männlicher Zug nach dem Motto "Ich möchte dich so sehen". Mag sich ein Regisseur der Psyche seiner Protagonistin noch so sensibel nähern, es ist immer auch Projektion im Spiel. Das Ergebnis ist ein Spiegelkabinett, ein zehnfaches Vexierbild.

Liebe endet in Ihren Filmen immer in einem Albtraum.

Graf: Die Vorstellung einer friedvollen harmonischen Liebe fürs ganze Leben, ein Märchenbild von Eierkuchen und Konfektionsware ist sicherlich eine falsche Hoffnung. In einer Beziehung geht es oft um Macht, darum, wer gewinnt, wer verliert. Wenn ich mich einigermaßen bei Sinnen zu Gefühlen äußere, kann ich eine Geschichte nicht in netter Nestwärme enden lassen und wenn, dann nur als Form von Ironie, als Überhöhung. Wie sollte ich etwas vermitteln, woran ich selbst nicht glaube?

Warum diese Passivität der Frau in einer Gefühlskrise? Man möchte sie wachrütteln.

Graf: Von ihrem Selbstverständnis aus definieren sich Frauen lieber als aktiv, gefühlsmäßig bestimmend und über Gut und Böse Bescheid wissend – blöd sind immer die Männer. Schließlich haben Frauen gekämpft, um aus der Opferrolle herauszukommen. Dabei überfordern sie sich, es herrscht eine extreme Verunsicherung im weiblichen Verhalten.

Ihre Hauptfigur ist in ihrer spröden Art nicht gerade eine Sympathieträgerin.

Graf: Ihr werden am Anfang emotional sämtliche Teppiche unter den Füßen weggezogen. Ich habe den Weg einer Figur nachgezeichnet, die nicht die Wahrheit über ihre Gefühle wahrnehmen will, obgleich sie im Innersten weiß, dass die Liebesgeschichte mit ihrem verheirateten Freund und Chef schon lange vorbei ist, dass es nur darum ging, an einer Illusion festzuhalten, sich in eine falsche Hoffnung verliebt zu haben.

Dennoch: Tiefe Gefühle kann man nur ahnen.

Graf: Wir bestehen zu sehr auf Emotionen im Film. Dabei will der Zuschauer nicht ständig in den Kopf gehämmert bekommen, wie gefühlvoll wir sind. Das Leben ist nicht so einfach, wie wir es gerne hätten. Ich kann auch trockenen Auges, aber tief bewegt aus dem Kino kommen. Als die weibliche Hauptfigur am Ende vom Tod des Jungen erfährt und realisiert, was sie angerichtet hat, weint sie. Da zeige ich sie nicht von vorne, sondern von einer Distanz aus – typisch für mich, weil ich das viel intensiver finde, das ist meine Art auf Emotionen zu schauen.

Warum siedeln Sie die Handlung auf Korsika an?

Graf: Es musste eine Insel sein, um das Gefühl des Nicht-Weg-Könnens zu vermitteln. Korsika hat eine Wildheit, eine Archaik der Landschaft und eine Schroffheit, die die Vereisungen der Seele schon visuell verdeutlichen.

Welche Funktion hat die Off-Stimme, die doch im Kino relativ wenig eingesetzt wird?

Graf: Das stimmt nicht. Denken Sie an "American Beauty" oder "Casino". In Deutschland reagiert man empfindlicher darauf. Der Kommentar fasst zusammen, spinnt so ein Netz über die Insel und schwenkt auch mal zu einer Nebensächlichkeit hinüber, etwa zur Information, dass die Dörfer im Inland aussterben. Ich fand es wichtig, eine zweite Ebene der Erzählung zu haben. Es ist eine Art Ferienvideo mit Orchesterbegleitung und einem bereits eingesprochenen Audiokommentar.

War die Entscheidung, auf Mini-DV zu drehen, eine Referenz an die "Dogma"-Idee, oder gaben ästhetische und finanzielle Aspekte den Ausschlag?

Graf: Wir wollten keinen "Dogma"-Film drehen. Ausschlaggebend waren erst einmal finanzielle Gründe. Drei Wochen vor Dreh erhielten wir die Nachricht, dass das Budget nicht reicht. Benedict Neuenfels kam auf die Idee, den ganzen Film mit einer Ferienvideokamera aufzunehmen. Nach einigen Anfangsproblemen empfand ich das als befreiend, mit der ästhetischen Umsetzung betraten wir Neuland. Die Mini-DV gibt mir mehr Unabhängigkeit, Flexibilität und natürlich mehr Nähe zu den Schauspielern. Bei "Die Sieger" dachte ich schon am ersten Tag, ich habe mich in den falschen Film verirrt. Anschließend hatte ich das körperliche Bedürfnis, mit immer kleineren Crews und immer weniger Aufwand zu drehen. Schon bei "Der Skorpion" habe ich den ganzen Aufwand heruntergefahren. Die Art des "German-Movie-Making" in den 90er-Jahren ging mir auf den Wecker, jede Entscheidung musste zehn Tage vorher festgelegt sein, sonst brachte sie eine Organisationsrevolte ins Rollen.

Verführt Video nicht zu unkontrolliertem Materialverbrauch?

Graf: Das muss man in den Griff kriegen. Unser Drehverhältnis lag bei 1:60! Wir haben Skizzen mit der Kamera gemacht und alles gedreht, was sich auf der Insel bewegte. Ich habe versucht, Authentizität und essayistisches Erzählen zu verknüpfen. Die Materialsichtung und der Aussortierungsprozess dauerten allerdings sehr lange. Im Schneideraum kommt bei Video die Stunde der Wahrheit.

Wollen Sie auch in Zukunft mit Video arbeiten?

Graf: Im Moment fällt es mir jedenfalls wahnsinnig schwer, zum normalen Filmmaterial zurückzukehren. Zwar benötige ich aufgrund des vielen Materials sehr viel Zeit für den Schnitt, aber dann habe ich auch bei jeder Szene das Gefühl, genau so muss es sein, genau so habe ich es mir vorgestellt. Es liegt eine Chance in dieser Vielschichtigkeit und den Details. Das ist meine Art, Szenen zwischenmenschlich zu erzählen. Mit 35mm kann man nicht wahllos alles abfilmen, was vielleicht noch in den Ablauf eines Dialogs hineinspielen könnte. Dazu ist das Material einfach zu teuer.

Sie konzentrieren sich auf sehr viel "Nebensächlichkeiten" im Bild. Woher kommt Ihre Detailbesessenheit?

Graf: Wir werden von dem, was um uns herum ist, viel stärker beeinflusst als wir annehmen. Es fällt mir immer schwerer, eine Szene nur im steifen Schnitt und Gegenschnitt zu erzählen. Ich versuche, die innere Wahrheit einer Situation zu erfassen. Oft ist die Art der Interaktion wichtiger als das Gespräch selbst.

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