Märzmelodie

Deutschland 2007/2008 Spielfilm

Märzmelodie


Der deutsche Film und der populäre Schlager: Das hat eine lange gemeinsame Tradition. Vom Charme und Esprit der frühen Tonfilm-Operetten ("Die Drei von der Tankstelle", "Der Kongress tanzt") über die herzschmerz-kranken Melodramen mit Zarah Leander der 1930er-Jahre bis zu den naiv-albernen Schlagerfilmen aus "Opas Kino", in denen Peter Alexander, Caterina Valente, Cornelia Froboess und die vielen anderen "Sternchen" des deutschen Wirtschaftswunders aufmarschierten, ist es ein langer, hindernisreicher Weg zwischen Ambition und Ausdrucksarmut, gefühlstrunkener Verlorenheit und Alltagsverdrängung. Bei aller direkten oder indirekten ideologischen Vereinnahmung und oft fragwürdiger (propagandistischer) Beeinflussung wird häufig übersehen, wie mitreißend und schwungvoll man in Deutschland zuweilen mit Musik und Tanz, Melodik und kompositorischer Finesse umzugehen verstand – gewiss nicht schlechter als in Hollywood, allenfalls anders, eigener und durchaus nicht weniger unverwechselbar. Während seit der "Neuen Deutschen Welle" deutsche Sänger/innen und Bands immer wieder unbelastet auf alte Schlager-Traditionen zurückgreifen und "Die Ärzte" ebenso unbekümmert "drauflos reimen" wie Ulrich Tukur oder Roger Cicero im Geist der "Weimarer Jahre" swingen, gibt es im deutschen Kino (oder beim Publikum und/oder der Kritik) nach wie vor große Berührungsängste vor dem Gesungenen auf der Leinwand. Das Desaster, das Katja von Garnier – gänzlich unberechtigt – vor zehn Jahren mit "Bandits" (fd 32 614) erlebte, steht immer noch als Fanal dafür, wie schwer es angeblich ist, (überspannte) Intellektualität und (nur schwer zugestandene) Sinnlichkeit in Einklang zu bringen. Dass Martin Walz dies nun mit einer neuen, sehr spielerischen Variante wieder versucht, mag Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins angesichts spartenreicher gewordener deutscher Kinogenres sein; dass es aber in "Märzmelodie" so gut funktioniert, hat auch viel mit Know-how, filmischem (Vor-)Wissen und präziser Kombination von Bild und Musik(-Zitat) zu tun.

Der hübsche Grundgedanke der gleich dreifachen Liebesgeschichte um das Sich-Finden, Verlieren und Wiederfinden von jungen Paaren ist einfach, aber nicht schlicht: Liebe und Sehnsucht, Glück und Trauer, Frust und Euphorie sind Gefühle, die manchmal einfach "raus wollen" und ihre Befreiung oft genug in der Musik finden. Wohl jeder kennt einen Song oder eine Melodie, die er mit bestimmten Lebens- und Gefühlssituationen verbindet, und so mancher möchte, statt zu schreien, laut singen, um nicht zu platzen. So geht es auch dem arbeitslosen, an seiner Lebenskrise allmählich krank werdenden Schauspieler Thilo und der beruflich überforderten, nervlich höchst angeschlagenen Lehrerin Anna, die sich über Freunde kennen und lieben lernen, sich zunächst behutsam und unsicher, doch voller (Vor-)Freude und Aufgeregtheit annähern, sich bald gegenseitig Mut machen und sich schließlich in ihren Verunsicherungen und Lebensängsten auf ihre Art sogar "heilen" – indem sie für sich oder aber das Gegenüber singen. Das tun sie nicht in neu komponierten Songs, sondern indem sich in ihre Alltagsdialoge kurze oder auch längere Passagen aus OriginalSongs schieben, zu denen die Protagonisten exakt lippensynchron den Mund bewegen. Dann zitieren sie Songs von Ton, Steine, Scherben ("Halt dich an deiner Liebe fest!"), Nena ("Todesmüde") oder Westernhagen ("Lieben werd’ ich dich nie!"), aber auch von Willi Fritsch, Curt Bois und Zarah Leander, machen sich diese regelrecht zu eigen und finden so ein adäquates Ausdrucksmittel für ihre jeweilige Emotion. Das funktioniert verblüffend und amüsant, hat aber, so man sich darauf einlässt, durchaus auch Substanz.

Geschickt bricht und erweitert sich dieses Song-Panoptikum in den beiden anderen Liebespaaren, Moritz und Valerie (mitreißend: Inga Busch) sowie Florian und Katja, die sich in dieser "melodischen Liebeskomödie" (Walz) vor allem der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle bewusst werden müssen, um zu sich selbst und zueinander zu stehen. Daraus resultiert ein lustvoll-verspieltes, betont unakademisches Potpourri aus sieben Jahrzehnten deutscher Schlager-Musik, mal übertrieben und gefühlig, mal melodramatisch, kitschig und rührselig, in jedem Fall keine (Berliner) Schule der stillen Innerlichkeit, sondern ein hymnisch-expressives emotionales Ausleben, charmant und oft sehr witzig. Das alles ist eine mutige Gratwanderung, für viele gewiss gewöhnungsbedürftig, aber doch eine spannende Reise mitten ins emotionale Zentrum von Kino und Musik.

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