Unterhaltung und Ideologie in der "Feuerzangenbowle"

Helmut Weißens "Die Feuerzangenbowle" gilt bis heute als "Klassiker" der deutschen Filmkomödien. Die Geschichte um den nachgeholten Schulalltag eines längst arrivierten Schriftstellers, gedreht 1943 mit Heinz Rühmann in der Rolle des Pfeiffer mit den berühmten drei F, gehört zum Standardrepertoire der TV-Anstalten. An Hochschulen wird "Die Feuerzangenbowle" als "Kultfilm" gefeiert; Jahr für Jahr sitzen Studenten von Flensburg bis München zu Nikolaus mit Glühwein und Feuerzangenbowle in den Hörsälen und lachen über den Primaner Pfeiffer.

 
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Heinz Rühmann in der als "Klassiker" und "Kultfilm" gefeierten Komödie "Die Feuerzangenbowle" (1943)

Dass diese Komödie aus dem Jahr 1944 jedoch keineswegs als unverfängliche Unterhaltung aus der Zeit Nazideutschlands verstanden werden muss – als bloße Zerstreuung der Reichsdeutschen im fortgeschrittenen Zweiten Weltkrieg – darauf hat Karsten Witte bereits 1976 hingewiesen. Witte hat in diesem Zusammenhang u.a. die Überblendung diskutiert, mit der die "Rückverwandlung Rühmanns vom reifen Mann zum Schüler" visualisiert wird und die Witte als symptomatisch für den NS-Film bezeichnet: Er entdeckt in der "Verwandlung nach rückwärts" eine "Gleichförmigkeit vom Ewigen Wald bis zur Feuerzangenbowle". Eine Verbindung zwischen Rolf von Sonjewski-Jamrowskis propagandistischem "Kulturfilm" "Ewiger Wald" (1936) und der "Feuerzangenbowle" ist jedoch vielleicht offensichtlicher an anderer Stelle auszumachen."Kein anderer Film aus dem Dritten Reich", so Karsten Witte über "Ewiger Wald", "zeigt so unverstellt seine Anschauung von Welt als Weltanschauung. Sie war bestimmt vom Verlangen nach Rückverwandlung von Geschichte in Natur." Der Wald soll Deutschland, Deutschland wie der Wald sein. Er wird zur mächtigen Metapher, aufgefüllt vom biologistischen Rekurs auf Natur als einer Identität und Volk stiftenden Reinheit. Elias Canetti hat in seiner Studie "Masse und Macht" die Geschichte dieses "Massensymbols der Deutschen" erläutert und über das "Waldgefühl" geschrieben, in dem die Betonung der Vertikalen "diesen Wald von dem tropischen" unterscheidet, "wo Schlinggewächse in jeder Richtung durcheinanderwachsen".

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Ewald Wenk, Heinz Rühmann (v.l.n.r.) in "Die Feuerzangenbowle" (1943)

Vor diesem Hintergrund gewinnt eine Passage aus der "Feuerzangenbowle" besondere Bedeutung. Der junge Oberlehrer Dr. Brett (Lutz Götz), der sich als einziger nicht von Pfeiffer & Co auf der Nase herumtanzen lässt, der als einziger Lehrer von Pfeiffer explizit als "feiner Kerl" hervorgehoben wird, unterhält sich mit dem altgedienten Lehrer Bömmel (Paul Henckels) über seine erfolgreichen pädagogischen Prinzipien. "Es wäre ja auch traurig, wenn eine neue Zeit nicht auch neue Methoden brächte", beginnt Brett die Erläuterung der "neuen Methode": "Junge Bäume, die wachsen wollen, muss man anbinden, dass sie schön gerade wachsen, nicht nach allen Seiten ausschlagen, und genauso ist es mit den jungen Menschen. Disziplin muss das Band sein, das sie bindet – zu schönem geraden Wachstum!" Anerkennend legt sein älterer Kollege dem Vertreter der "neuen Zeit" die Hand auf die Schulter: "Brett, das mit den Bäumen haben sie schön gesagt!"Dieses Ideal vom "schönen geraden Wachstum" lässt sich nicht nur mit dem NS-Rassismus assoziieren, in dem die "arische Rasse" als überlegen propagiert und mit "reiner" Natürlichkeit assoziiert wird. Hier findet auch Canettis Beschreibung des "Waldgefühls" neue Bestätigung, kommuniziert "Die Feuerzangenbowle" quasi in einem doppelten Sinne Ideologeme – zwischen Brett und Bömmel sowie zwischen Filmerzählung und einem Publikum, das 1944 nicht zum ersten Mal Wald und Nation identifiziert sah. Umso interessanter für den Zeitbezug wird dieser Aspekt, weil dieser Dialog weder in der literarischen Vorlage von Heinrich Spoerl noch in der ersten Verfilmung "So ein Flegel" (1933/34) – ebenfalls mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle – zu finden ist.

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Heinz Rühmann, Hans Leibelt (v.l.n.r.) in "Die Feuerzangenbowle" (1943)

Bedeutend ist dabei vor allem der Terminus der "neuen Zeit", als deren Vertreter Lehrer Brett ausdrücklich vorgestellt wird. Die Propaganda hatte den NS-Staat explizit als "die neue Zeit" ausgegeben. Auch in der Kaiserhof-Rede vom März 1933 hatte Propagandaminister Joseph Goebbles vom Nationalsozialismus als der "neuen Zeit" gesprochen, nicht zufällig heißt es in Baldur von Schirachs berüchtigtem Marschlied der Hitlerjugend "Unsere Fahne ist die neue Zeit", und ebensowenig zufällig wurde diese Zeile des Liedes am Ende des Propagandafilms "Hitlerjunge Quex" dramatisch eingesetzt.In diesem Kontext der NS-Ideologie erscheint es in einem neuen Licht, wenn in der "Feuerzangenbowle" der einzige erfolgreiche Lehrer (im Unterschied zu seinen älteren Kollegen, den Vertretern der Weimar-Generation sozusagen) die Schüler vor die Wahl "Krieg oder Frieden" stellen und so für jene "neue Zeit" sprechen darf. Der neue Prototyp Brett und seine von der "Feuerzangenbowle" begrüßte Politik sind hochgradig aufgeladene Spezifika dieser Komödie aus dem nationalsozialistischen Deutschland.