Berlinale Generation 2018: Von wirklichen Märchen und märchenhaften Wirklichkeiten

Mit der 41. Ausgabe von Generation bekräftigt die Sektion den Anspruch der Internationalen Filmfestspiele Berlin, insbesondere auch jungen Menschen anspruchsvolle Neuentdeckungen des internationalen Gegenwartskinos auf Augenhöhe zu präsentieren.

"Generation zeigt Filme, die nah dran sind am Alltag und Erleben von Kindern und Jugendlichen, häufig auch in herausfordernden Situationen. Wir werden auch in Zukunft nicht müde, für ein erweitertes Verständnis von Filmen für junge Zuschauer*innen zu werben. Gleichzeitig soll ein Besuch bei Generation Freude bringen, ein Erlebnis sein – und so Lust auf mehr Kino machen", kommentiert Sektionsleiterin Maryanne Redpath.

Halbzeit bei der Auswahl des Spielfilmprogramms

In den beiden Wettbewerben Kplus und 14plus sind aktuell bereits 16 Langfilme aus 16 Produktions- und Koproduktionsländern versammelt. In der für die Sektion charakteristischen Vielfalt filmischer Formen folgen die Filme ihren jungen Protagonist*innen in märchenhafte Bildwelten und kreieren ganz eigene Wirklichkeiten, die auf subtile Weise die Widersprüche einer fragilen Erwachsenenrealität sichtbar machen. Das vollständige Generation-Programm wird Mitte Januar veröffentlicht.

Generation 14plus

"303"
Deutschland
von Hans Weingartner
Weltpremiere
"303" erzählt die Geschichte der beiden Studierenden Jule (Mala Emde) und Jan (Anton Spieker), die es aus unterschiedlichen Beweggründen in einem alten Wohnmobil auf einen gemeinsamen Roadtrip von Berlin Richtung Süden zieht. Während sie in leidenschaftlichen Diskussionen über sich und die Welt philosophieren, bleibt Regisseur Hans Weingartner in naturalistischer Manier und vor atemberaubender Landschaftskulisse immer ganz nah an den beiden jungen Menschen. Nach seinem Beitrag in dem Episodenfilm "Deutschland 09, 13 kurze Filme zur Lage der Nation" (Wettbewerb 2009) zeigt Weingartner, der zudem 2006 Mitglied der Berlinale-Jury GWFF Preis Bester Erstlingsfilm war, zum zweiten Mal einen Film bei der Berlinale.

"Cobain"
Niederlande / Belgien / Deutschland
von Nanouk Leopold
Weltpremiere
Nach "Wolfsbergen" (Forum 2007), "Brownian Movement" (Forum 2011) und "Boven is het stil" (Panorama 2013) ist die niederländische Regisseurin Nanouk Leopold 2018 im Wettbewerb 14plus von Generation vertreten. Ihr jüngster Film folgt in ihrem charakteristischen Stil stiller Radikalität dem 15-jährigen Cobain, der auf der Suche nach seiner selbstzerstörerischen Mutter durch die Straßen streift. Auf seinem Weg begegnen ihm ihre alten Freunde, Vertreter des Jugendamts und der Methadonvergabestelle. Sanftmütig und ergreifend verkörpert Bas Keizer in seinem Langfilmdebüt den jungen Mann, der weit vor seiner Zeit erwachsen werden muss.

"Danmark" ("Denmark")
Dänemark
von Kasper Rune Larsen
Internationale Premiere
Als die 16-jährige Josephine feststellt, dass sie schwanger ist, schläft sie mit dem lakonischen Norge und sagt ihm, dass er der Vater sei. Es folgt eine behutsame Annäherung, in deren Verlauf Fragen nach Verantwortung und Verbindlichkeit für die beiden jungen Menschen zunehmend an Bedeutung gewinnen. In aufmerksam registrierten Gesten und Blicken, aus fein beobachteten Körpern und Gesichtern und den Dingen, die die beiden einander sagen oder nicht, zeichnet Kasper Rune Larsen in seinem Spielfilmdebüt ein einfühlsames Portrait junger Leute, mit großem Respekt vor ihren Wünschen und Ängsten, ihren Fehlern und Sehnsüchten.

"Güvercin" ("The Pigeon")
Türkei
von Banu Sıvacı
Weltpremiere
Nur auf dem Dach seines Elternhauses, über den Gassen eines Slums in Adana, bei seinen geliebten Tauben, kommt Yusuf zur Ruhe und zu sich selbst. Fuß zu fassen in der dystopischen Welt draußen fällt ihm hingegen schwer. Banu Sıvacıs Spielfilmdebüt, für das sie zudem das Drehbuch geschrieben und als Produzentin gewirkt hat, folgt Yusuf in grandios komponierten Bildfolgen durch schwierige Tage. In seiner Mimik und den Windungen seines Körpers eröffnet sich eine eigene innere Welt, die von der äußeren viel zu erzählen hat.

"Les faux tatouages" ("Tattoos")
Kanada
von Pascal Plante
Internationale Premiere
In "Les faux tatouages" ("Tattoos") erzählt Pascal Plante in zärtlicher Manier, ohne dabei ins Pathetische abzudriften, die Geschichte einer jungen Liebe. Eigenbrötler Theo, gespielt von Anthony Therrien (Haupdarsteller in "Corbo", Generation 14plus 2015), trifft an seinem 18. Geburtstag Mag. Sie lädt ihn ein, mit ihr die Nacht zu verbringen. Musik ist ihre gemeinsame Sprache: Eingerahmt von wilden Punk-Rhythmen und erfüllt von jugendlicher Leidenschaft entspinnt sich eine Beziehung, deren Intensität durch ihr unausweichlich nahendes Ende noch gesteigert wird. Mit großer Aufrichtigkeit und Präzision fängt Plante die Hoffnungen und Träume junger Menschen auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft ein.

"Para Aduma" ("Red Cow")
Israel
von Tsivia Barkai
Weltpremiere
Die in Jerusalem geborene Regisseurin Tsivia Barkai (Berlinale Talents-Alumna) war bereits 2006 mit ihrem ersten Kurzfilm "Vika" zu Gast im Wettbewerb 14plus. In ihrem Langfilmdebüt erzählt sie von patriarchaler Ordnung und jugendlichem (Auf-)Begehren. Benny, eine junge Frau, lebt in Ostjerusalem und steht dem religiös-utopischen Nationalismus ihres Vaters Joshua zunehmend skeptisch gegenüber - anders als den heimlichen Umarmungen ihrer Freundin Yael. Ein Film in Bildern, die so kraftvoll sind wie die ungestümen Sehnsüchte seiner Heldin.

"Unicórnio" ("Unicorn")
Brasilien
von Eduardo Nunes
Internationale Premiere
Das rätselhafte Drama des brasilianischen Regisseurs Eduardo Nunes entfaltet die Geschichte um die 13-jährige Maria, die alleine mit ihrer Mutter in ländlicher Abgeschiedenheit lebt. Als ein junger Mann mit seiner Ziegenherde in die Nachbarschaft zieht, gerät ihr Leben aus dem Gleichgewicht. In berauschend immersiven Bildern überträgt Nunes die sprachliche Radikalität und den magischen Realismus der Schriftstellerin Hilda Hilst als märchenhaft, mystische Welt in einem imposanten Breitbildformat auf die Kinoleinwand.

"Virus Tropical"
Kolumbien / Frankreich
von Santiago Caicedo
Europapremiere
Paola wächst als jüngste von drei Schwestern in Quito, Ecuador, auf. Träume platzen, Unternehmungen scheitern, Liebe wächst und zerbricht. In seinem Langfilmdebüt übersetzt Regisseur Santiago Caicedos die autobiografische Geschichte der ekuadorianischen Comiczeichnerin Powerpaola in rasante, grafisch verwegen animierte Kinobilder. Emanzipatorischer Einspruch und Liebeserklärung verbinden sich in einem ironischen Blick auf die lateinamerikanische Gegenwart.

Generation Kplus

"Allons enfants" ("Cléo & Paul")
Frankreich
von Stéphane Demoustier
Weltpremiere
Die dreieinhalbjährige Cléo ist im Versteckspiel unschlagbar. Doch irgendwann weiß auch sie nicht mehr, welchen Weg sie durch den Park genommen hat. Plötzlich ist alles voller fremder Menschen, die auf ihre Smartphones starren. Im Pariser Getümmel macht sich Cléo allein auf die Suche nach ihrem wenig älteren Bruder Paul, der ebenfalls verschwunden ist. In sinnlicher Nähe zu seinen kleinen Held*innen verwandelt das lakonische Kinomärchen von Stéphane Demoustier die alltägliche Stadt in einen bestaunenswerten Kosmos aus wundersamen Dingen, Orten und Begegnungen.

"Den utrolige historie om den kæmpestore pære" ("The Incredible Story of the Giant Pear")
Dänemark
von Philip Einstein Lipski, Amalie Næsby Fick, Jørgen Lerdam
Internationale Premiere
Mika und Sebastian staunen nicht schlecht, als sie eines Tages eine Flaschenpost aus dem Wasser fischen. Darin finden sie einen Brief ihres spurlos verschwundenen Bürgermeisters H.B. und einen Samen, der sich über Nacht zu einer riesengroßen Birne auswächst. Diese wird zum Segelboot und plötzlich findet sich der ängstliche Sebastian mit der wasserscheuen Mika und einem verrückten Professor mitten auf dem Meer wieder. Nach dem Bilderbuch von Jakob Martin Strid erzählt das Regie-Trio in dem aufgewühlt magischen Animationsfilm die nun beginnende Abenteuerreise zu der geheimnisvollen Insel, auf der H.B. vermutet wird.

"Dikkertje Dap" ("My Giraffe")
Niederlande / Belgien / Deutschland
von Barbara Bredero
Internationale Premiere
Dikkertjes bester Freund hat einen langen Hals und weiches, hellgeflecktes Fell. Er heißt Raf, kam am selben Tag wie Dikkertje zur Welt und ist: eine sprechende Giraffe. Nun werden die beiden vier Jahre alt und ihr erster Schultag steht bevor. Doch in der Schule sind Tiere nicht erlaubt. Inspiriert von dem niederländischen Kinderliedklassiker und Gedicht von Annie M.G. Schmidt und mit einfühlsamem Augenzwinkern erzählt, ist es die phantasievolle Geschichte um den Wert und den Wandel einer ungewöhnlichen Freundschaft.

"El día que resistía"
Argentinien / Frankreich
von Alessia Chiesa
Weltpremiere
Sie spielen Verstecken, lesen sich gegenseitig vor, raufen und tollen mit ihrem Hund Coco umher: Auf den ersten Blick scheinen die Geschwister Fan (acht Jahre), Tino (sechs Jahre) und Claa (vier Jahre) ein kindlich unbeschwertes Leben zu führen. Doch sie sind ganz auf sich allein gestellt, draußen liegt der dunkle Wald und wie war das noch gleich mit dem bösen Wolf? Mit großer Sinnlichkeit entfaltet das Langfilmdebüt der argentinischen Berlinale Talents-Alumna Alessia Chiesa eine märchenhafte, zunehmend düstere Bildwelt.

"Gordon och Paddy" ("Gordon and Paddy")
Schweden
von Linda Hambäck
Internationale Premiere
In allseits beliebter skandinavischer Krimimanier hüten der Froschkommissar Gordon, gesprochen von Stellan Skarsgård, und seine Assistentin Buffy (Melinda Kinnaman) das Gesetz des Waldes, spüren Nussdiebe auf und schützen die Waldbewohner vor dem Fuchs. Freundlichkeit ist legal und Gemeinheiten sind illegal. Dass dies immer eine Frage der Perspektive ist, zeigt dieser packende Animationsfilm der in Südkorea geborenen Filmemacherin Linda Hambäck mit viel Charme und großer Liebe für Details.

"Les rois mongols" ("Cross My Heart")
Kanada
von Luc Picard
Europäische Premiere
Montreal im Oktober 1970. Die ärmliche Familie der zwölfjährigen Manon zerbricht: Der Vater leidet an Krebs, die Mutter ist mit den Nerven am Ende. Als Manon und ihr kleiner Bruder Mimi bei Pflegeeltern untergebracht werden sollen, fasst sie einen tollkühnen Plan. Mit mitreißenden Darsteller*innen und gekonnt verknüpft mit den realen Umsturzereignissen gelingt dem Film ein bewegendes Zeitporträt, das die Lügen und das Unverständnis einer Welt der Erwachsenen auf ebenso tragische wie humorvolle Weise entlarvt.

"Sekala Niskala" ("The Seen and Unseen")
Indonesien / Niederlande / Australien / Katar
von Kamila Andini
Europäische Premiere 
Die indonesische Regisseurin Kamila Andini, die bereits ihren Debütfilm "The Mirror Never Lies" bei der Berlinale (Generation 2012) präsentierte, geht in "Sekala Niskala" ("The Seen and Unseen") der Frage nach, wie man Abschied von einem geliebten Menschen nimmt. Durchformt vom balinesischen Weltverständnis von Sekala – dem Sichtbaren, und Niskala – dem Unsichtbaren, findet Andini für das Welterleben eines zehnjährigen Mädchens und ihres schwer erkrankten Zwillingsbruders einen Bilderbogen von ungesehener Ausdruckskraft.

"Supa Modo"
Deutschland / Kenia
von Likarion Wainaina
Weltpremiere
Das von Tom Tykwer mit produzierte Drama des kenianischen Regisseurs Likarion Wainaina erzählt die inspirierende Geschichte der neunjährigen Jo. In ihrem Schauspieldebüt mit berührender Ernsthaftigkeit verkörpert von Stycie Waweru, träumt das unheilbar kranke Mädchen davon, eine Superheldin zu werden. Gegen alle Widerstände und im Wettlauf mit der verrinnenden Zeit macht sich ein ganzes Dorf daran, ihren letzten Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen: einen Film zu drehen, in dem sie selbst die Hauptrolle spielt. Mit "Supa Modo" gelingt Wainaina eine tiefbewegende Betrachtung über den trostspendenden Wert der Fantasie im Angesicht der Endlichkeit eines noch jungen Lebens.

Quelle: berlinale.de