Berlinale 2018: NATIVe gibt Ausblick auf neuen Regionalschwerpunkt

Im Brückenjahr verbindet die Berlinale-Sonderreihe "NATIVe − A Journey into Indigenous Cinema" Rückblick und Ausblick.

Die Arktis, der Regionalschwerpunkt des vergangenen Jahres, wird abgelöst vom neu gewählten Fokus indigenen Filmschaffens: die am und im riesigen Pazifischen Ozean gelegenen Länder und Inseln.

Der Klimawandel ist dabei nur das offensichtlichste Verbindungsglied zwischen den augenscheinlich so unterschiedlichen Regionen: Schmelzende Eismassen sind maßgeblich für den steigenden Meeresspiegel verantwortlich. Dieser bedroht unter anderem die Inselstaaten und Inselregionen Polynesiens, Melanesiens/Neuguineas und Mikronesiens sowie ihre überwiegend indigene Bevölkerung. Doch auch Industrialisierung, die Unterdrückung indigener Sprachen und Kulturen, Zwangsumsiedlungen und andere Spätfolgen kolonialistischer Praktiken betreffen die indigenen Völker der Polarregion genauso wie in den Kulturräumen im und am Pazifik.

Eine für die Inseln der Pazifikregion singuläre Form kolonialistischer Aggression macht der Dokumentarfilm "MA'OHI NUI, au cœur de l’océan mon pays" ("MA'OHI NUI, in the heart of the ocean my country lies") deutlich: Von 1966 bis 1996 führte Frankreich in Französisch-Polynesien hunderte Atomtests durch. Der Film zeigt am Beispiel von Tahiti die katastrophalen Auswirkungen auf die Lebenswelt der Region und auf die Gesundheit und die gesellschaftlichen Strukturen des auf Tahiti lebenden Volkes der Ma'ohi. NATIVe präsentiert den Dokumentarfilm als Weltpremiere.

Die destruktiven Effekte jahrhundertelanger kolonialer Unterdrückung werden auch in Anastasia Lapsuis und Markku Lehmuskallios poetisch-aktivistischem "Fata Morgana" und im Kurzfilm "Three Thousand" sichtbar. In einer eindringlichen Szene in Fata Morgana berichten die Kinder der Tschuktschen davon, wie sie sich in der Schule neue, russische Namen aussuchen müssen, damit die russische Lehrerin sie besser aussprechen kann. Und die Erzählerin in Asinnajaqs aus Archivmaterial und Animation zusammengefügtem Bilderreigen "Three Thousand" kommentiert: "Mein Vater wurde in einem Iglu im Frühling geboren, halb Schnee, halb nackte Haut. Ich kam in einem Krankenhaus zur Welt. Mit zwei Zähnen und Gelbsucht." 

Haltung zu beziehen ist ein Markenzeichen von NATIVe. Das betont auch Kuratorin Maryanne Redpath: "NATIVe zeigt Filme, die immer wieder sichtbar machen, dass Kolonialismus kein Phänomen der Vergangenheit ist. Unter den verheerenden Folgen der kolonialistischen Praktiken leiden die indigenen Völker bis heute und über heute hinaus. Dennoch zeugen die Filme auch immer wieder von immenser Resilienz und dem Streben nach Unabhängigkeit."

Auch 2018 finden mehrere Wort- und Sonderveranstaltungen statt.

Die Diskussionsrunde "Establishing Indigenous Cinema" setzt die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit mit der Botschaft von Kanada fort. Im Anschluss an das Branchengespräch, bei dem Filmschaffende über die Positionierung des indigenen Kinos innerhalb der globalen Filmbranche diskutieren, wird das Kurzfilmprogramm Reel Kanata VI gezeigt.

Zum zweiten Mal arbeitet NATIVe mit der Helmholtz-Klimainitiative REKLIM am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und der DEKRA Hochschule für Medien, Berlin zusammen. Bei "Indigenous Life and Global Climate Change − From Polar Regions to Pacific Islands. From Melting Ice to Sea Level Rise" beleuchten Wissenschaftler*innen und Filmschaffende in Vorträgen, Gesprächen und Filmvorführungen die dramatischen Folgen der globalen Erwärmung und ihre regionalen Auswirkungen.

Die Sektion Berlinale Special zeigt die Internationale Premiere des australischen Dokumentarfilms "Gurrumul". Die Vorführung im Haus der Berliner Festspiele findet in Kooperation mit NATIVe statt. "Gurrumul" ist ein intimes Portrait über das Leben und musikalische Wirken des kürzlich verstorbenen Geoffrey Gurrumul Yunupingu. Der national wie international gefeierte blinde Aboriginal-Sänger kombinierte auf faszinierende Weise Rhythmen und Melodien der Yolngu mit zeitgenössischer, westlicher Musik.

Filmprogramm:

Langfilme NATIVe:

"Fata Morgana"
Von Anastasia Lapsui, Markku Lehmuskallio, Finnland 2005
In einem fesselnden Mix aus Erzähl- und Filmstilen beleuchtet das legendäre Filmemacher-Duo Anastasia Lapsui und Markku Lehmuskallio die jahrtausendealte Geschichte des Volkes der Tschuktschen: von der Mythologie über die russische Kolonialisierung bis zu den heutigen Überlebenskämpfen.

"MA'OHI NUI, au cœur de l'océan mon pays" ("MA'OHI NUI, in the heart of the ocean my country lies")
Von Annick Ghijzelings, Belgien 2018
Dokumentarische Form
Weltpremiere
Ein poetisches Zeugnis der gegenwärtigen Folgen der Kolonialisierung, denen die Ma'ohi durch die Nachwirkungen der Atomtests in Französisch-Polynesien ausgesetzt sind. Der Film berichtet vom Wunsch eines Volkes, seine Identität wieder sichtbarer zu machen.

Kurzfilm NATIVe:

"Three Thousand"
Von Asinnajaq, Kanada 2017
Dokumentarische Form
In der spielerischen Montage aus historischem Archivmaterial und eigenen Animationen folgt Asinnajaq ihrem Inuiterbe durch seine ganze audiovisuelle Geschichte und entwirft eine hoffnungsvolle Vision für die Zukunft.

Quelle: www.berlinale.de