Der Meisterdieb

DDR 1976-1978 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
Heinz17herne
Ein Gänsejunge (Stefan Naujokat) sitzt im Geäst eines großen, alten Baumes, als ein vornehm gewandeter Herr mit Karacho ins Dorf galoppiert. Den muss er sich natürlich näher betrachten, so vornehmer Besuch ist ihm hier noch nicht untergekommen. Und was den Jungen noch mehr verwundert: Ziel des Reiters ist nicht das Schloss des Grafen Tronk, sondern die Bauernkate der Steffens. Wo sich die beiden Alten nicht weniger wundern über den gänzlich unerwarteten hohen Besuch, der um ein wenig Hafer für sein Pferd und für sich um ein paar Kartoffeln, wenn möglich mit Salz, bittet. „Der Wille des Herrn ist der Wille des Gottes“ fügt sich Mutter Steffen drein – und setzt dem so zurückhaltend-freundlichen jungen Mann ihr Sonntagsgericht mit Klößen vor. „Ein bescheidener Genuss, Herr“ entschuldigt sich der Alte und erhält eine ihn überraschende Antwort: „Wer entbehren musste, dem erscheint er nicht gering.“ Doch damit noch nicht genug. Mit den Worten: „Es geziemt sich nicht für einen Ochsen, ein Bulle zu sein, ein Mensch aber bleibt immer ein Mensch“ nötigt er seinen Vater, an seiner Seite am Tisch Platz zu nehmen.

Denn endlich nun gibt sich der Gast als ihr Sohn Jörg (Klaus Piontek) zu erkennen, der als Leibeigener des Grafen aus dessen Dienst geflohen ist und in der Fremde offenbar sein Glück gemacht hat. Seine Eltern blicken weiterhin ungläubig auf ihr eigen Fleisch und Blut, erst eine Narbe an der Hand und ein großes Muttermal auf der Brust gibt ihnen Gewissheit. Währenddessen spielt Graf Tronk mit seinem Diener Bartel Schach, während die Gräfin des Lichtes wegen am Fenster sitzt und an einem großen Rahmen stickt. Ihr überlautes Gähnen offenbart die Langeweile eines, ein Topos in den Defa-Märchen, dekadenten Lebensstils nichtsnutziger Blaublüter, die ihre Untergebenen nach Gusto kujonieren und ausbeuten. Jörg hat sich einen Namen als Meisterdieb gemacht und rechtfertigt sein unchristliches Leben gegenüber den gläubigen Eltern wie ein sozialistischer Revolutionär des 20. Jahrhunderts in Lateinamerika: Er, der rechtlose Leibeigene des Grafen, habe sich selbst zum Herrn erhoben, indem er die Verhältnisse auf den Kopf gestellt habe. Während es sonst die Großen von den Kleinen nehmen, nimmt er es sich von den Großen. Auch ein Robin Hood hätte es nicht anders ausgedrückt.

Dennoch will sich Jörg dem Grafen stellen, doch Bartel kommt ihm zuvor, indem er den scheinbar ebenfalls adligen Fremden ins Schloss einlädt. Wo Tronk, der, wie die Bilder der Kamera Peter Sürings zeigen, offenbar einem sehr bescheiden lebenden märkischen Landadel angehört, seine Tage als Rosenzüchter ausfüllt, seinen Gast mit vielen Kratzfüßen begrüßt und verhältnismäßig üppig bewirtet. Als ein kleiner Junge, der stolpernd einen Humpen Bier verschüttet hat, vom Grafen verprügelt wird, gibt sich Jörg als Steffens Sohn, dem vor dreizehn Jahren im Schloss ein ähnliches Schicksal beschieden gewesen ist wie jetzt dem Burschen, zu erkennen. Was den sogleich erzürnten Grafen zu einer Wette reizt: Um dem Galgen zu entkommen, soll Jörg dreimal beweisen, dass er ein Meisterdieb ist.

Die erste Aufgabe, das Lieblingspferd des Grafen aus dem von einer Handvoll gemieteter Söldner schwer bewachten Stall zu stehlen, löst der stets vom Gänsejungen beobachtete Jörg mit einem Fässchen schwerem „Ungarnwein vom Besten“. Dennoch lässt der Graf unverdrossen schon 'mal den Galgen im Schlosshof zimmern. Für die zweite Aufgabe, den Pastor dazu zu bringen, sich freiwillig ins Schloss zu flüchten, bedarf es weit größeren Aufwandes. Wobei Jörg ein in der Nacht aufkommendes Gewitter zupass kommt: „Das Ende der Welt ist da“ ruft es geheimnisvoll durchs sturmumtoste Dunkel. Auf dem Gottesacker flackern kleine Lichter, die sich fortzubewegen scheinen – und dann reitet der Teufel persönlich aus der Kirche. Alle Welt flüchtet aus Angst vor dem Jüngsten Gericht. Am anderen Morgen findet man den Pastor im Taubenschlag. Die erneute Niederlage hält den Grafen immer noch nicht davon ab, ein großes Festmahl zur Hinrichtung des Meisterdiebs vorzubereiten. Denn die dritte Aufgabe scheint in der Tat unlösbar: Jörg soll der Gräfin den Ring vom Finger stehlen und das Bettlaken unterm Hintern noch dazu. Wobei der mit einer Pistole bewaffnete Gatte unterm Bett lauert...

Wera und Claus Küchenmeister, das stramm sozialistische Filmemacher- und Schriftsteller-Duo, hat das gleichnamige Märchen der Brüder Grimm ganz im Sinn der SED-Ideologie, der beide als langjährige Funktionäre dienten, adaptiert: Wie ein Volksheld umjubelt reitet Jörg am Ende aus dem Ort, nachdem der Graf auf einen Kürbiskopf geschossen und seine so schöne wie tumbe Frau Schmuck und Laken freiwillig herausrückte im Glauben, es mit ihrem Gatten zu tun zu haben. Erstmals am Neujahrstag 1978 im DDR-Fernsehen ausgestrahlt, wird „Der Meisterdieb“ nach der Wiedervereinigung häufiger im Vormittagsprogramm der „Dritten“ in der ARD gezeigt. Der Mitteldeutschen Rundfunk spricht arg verharmlosend von einem „attraktiven, gelungenen Märchenfilm“: „Geistreiche und im Stil eines spätromantischen Märchens stimmige Verfilmung der bekannten Grimmschen Vorlage vom meisterlichen Dieb, der kokettierend mit den eigenen Fähigkeiten und quasi als Anwalt der kleinen Leute dem reichen Grafen eins auswischt.“

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DD) Der Meisterdieb

Fassungen

Original

Länge:
60 min
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

Uraufführung (DD): 01.01.1978