Absage an Viktoria

DDR 1976 TV-Spielfilm

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Heinz17herne
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Anja (als Zehnjährige: Ina Bleiweiß, Tochter der Schauspielerin Monika Woytowicz und des Regisseurs Celino Bleiweiß) begrüßt ihren Vater freudig schon vom Balkon aus. Für sie ist Susanne (Jutta Wachowiak), die Hans Richter (Hanns-Jörn Weber) eher besorgt entgegentritt, ganz selbstverständlich ihre Mutti. Doch die hält einen Brief in den Händen, der beiden Erwachsenen zu schaffen macht: „Ich habe in Köln kein Zuhause gefunden.“ Die leibliche Mutter Anjas erhebt Ansprüche auf Kind – und Vater.

Rückblende. Die lebenshungrige, so ehrgeizige wie attraktive Studentin Viktoria Lindner (Monika Woytowicz) bleibt auf dem Weg zu ihrer Vorlesung bei einem gutaussehenden jungen Mann stehen, der große Körbe voller Kartoffeln ins Dresdener Universitätsgebäude schleppt. Er ist ihr schon mehrfach im Hörsaal aufgefallen, wo er zumeist zu spät kommend in der hintersten Reihe Platz nimmt. So kommen beide ins Gespräch und es gibt keinen Zweifel: die kokette Frau hat es auf diesen Mann abgesehen. Der Hans heißt und als Heizer nicht nur dafür sorgt, dass genug Kohlen in seinem „Öfchen“ glimmen, sondern dass bei Bedarf auch der Kartoffelvorrat für die Mensa aufgestockt wird. In der Tat schleicht er sich in jeder freien Minute in Vorlesungen, will er später doch selbst Ökonomie studieren.

Die aus Dobbertin stammende angehende Architektin lässt sich gern von diesem vergleichsweise zurückhaltenden Kraftwerker in eine beliebte Gaststätte an der Elbe unweit des Blauen Wunders einladen, das für seine Kartoffelgerichte berühmt ist. Die Mecklenburgerin nimmt Hans im Gegenzug mit zu ihren Akademikerfreunden (Elfi Gäbel, Christine Harbort, Norbert Schwarz, Hans-Joachim Leschnitz, Rolf Staude, Wolfgang Flieder) anlässlich der Hochzeitsfeier unter Kommilitonen: obwohl sie ungeniert mit zahlreichen Gästen nicht nur tanzt, sondern ganz offensiv flirtet und „ihren“ Arbeiter zunächst links liegen lässt, ist der angehende Ingenieur und Parteigenosse Dybeck (Klaus Manchen) auf Hans eifersüchtig – und macht sich über ihn lustig.

Was die beiden Turteltauben, die unbeschwert an der Elbe radeln bis an die Grenze zur Tschechoslowakei, die nackt baden und auf einer Insel inmitten einer Kuhherde die Nacht verbringen, nicht weiter stört: Noch ist sie der Hochschulkader und er der Arbeiter, aber das spielt bei der Liebe – und, so suggeriert „Absage an Viktoria“, im entwickelten real existierenden Sozialismus auch gesellschaftlich – keine Rolle. Obwohl die geradezu kindlich-übermütige Viktoria nach einem selbst verschuldeten Fahrradunfall mit der Rettung in die Klinik transportiert werden muss, besteht sie ihr Examen mit Auszeichnung – und träumt sogleich von großen, aufsehenerregenden Projekten.

Als zufällige Gäste einer Hochzeit auf dem Land, Braut (Anna-Marietta Anday) und Bräutigam (Jochen Diestelmann) bitten die beiden sogleich an ihren Tisch, macht er ihr spontan einen Heiratsantrag, den sie sogleich annimmt: „Bei uns soll es nie so werden wie bei den meisten.“ Worunter Viktoria versteht, das Leben in vollen Zügen zu genießen ohne Rücksicht auf kleinbürgerliche Familienverhältnisse. Doch dann ist sie doch wieder in Dobbertin gelandet, entwirft einen Kindergarten – und wird schwanger. Erst nach vielem Hin und Her ist sie dazu bereit, das Kind auch auf die Welt zu bringen: „Mach' dich darauf gefasst: Eine Rabenmutter bekommt ein Kind.“ Was exakt so eintrifft: Anja wird in eine Kinderkrippe gesteckt, damit Viktoria sofort wieder arbeiten kann. Und Hans? Der steht zu seinem Kind, das den Namen der Mutter trägt, lehnt den vom netten Standesbeamten (Wilhelm Gröhl) angebotenen Vaterschaftstest ab. Er hat in Dresden sein Studium aufgenommen, bringt seiner Mutter (Ruth Kommerell) ab und zu einen Koffer voller schmutziger Wäsche und kann nur am Wochenende quer durch die Republik gen Norden fahren.

Dobbertin ist nicht Viktorias Welt – und die kleine Tochter schon gar nicht. Während sie von ihrer Kollegin Christel (Marie-Anne Fliegel) geradezu beneidet wird für Mann und Kind, setzt sie sich heimlich in den Westen ab: „Endlich. Ich muss unabhängig sein.“ Hans appelliert vergeblich an ihre Verantwortung für Anja, zeigt die geplante Republikflucht aber auch nicht bei den Behörden an. Ein Besuch bei ihrem Vater (Alfred Rink) hatte ihm die Augen geöffnet: Viktorias unbändiger Freiheitswille bestand seit frühester Kindheit. „Der Mensch lebt nur einmal. Er muss die Zeit nutzen“: Sie will dahin gehen, „wo wirklich etwas passiert“, wo ihre Anlagen gefordert, ihre Kenntnisse gebraucht werden.

Im Studentenwohnheim läuft die „Aktuelle Kamera“ im O-Ton: die DDR hat sich mit dem „antifaschistischen Schutzwall“ selbst eingemauert. Die Grenze zum Westen ist geschlossen, selbst wenn sie wollte, könnte Viktoria jetzt nicht mehr wie versprochen ihr Kind nachholen. Hans' Mutter macht Nägel mit Köpfen, nimmt Anja (als Vierjährige: Ramona Rischke) zu sich. Zusammen mit dem hilfsbereiten Nachbarehepaar (Angela Brunner und Bodo Schmidt) wird sie das Kind schon schaukeln. Hans muss sein Schweigen mit Exmatrikulation büßen, kann sich aber zwei Jahre auf dem Bau bewähren. Als er sich auch vor dem neuen Kollektiv rechtfertigen soll, springt ihm nur die couragierte Susanne bei – und sorgt bei der Parteirüge für die einzige Gegenstimme.

Die Kranführerin hat sich binnen zwei Jahren von der Küchenhilfe zur Ingenieurin hochgearbeitet. Sie tritt Hans offen und ehrlich gegenüber, gesteht eigene Fehler ein und ermuntert ihn, sein Leben neu zu organisieren – gern an ihrer Seite. Doch erst einmal trifft er sich mit Viktoria in Bulgarien. Seine Faszination für die attraktive Frau ist noch die alte, doch diese denkt gar nicht daran, in die DDR zurückzukehren – und will über Anja kein einziges Wort verlieren. Als seine Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wird, kehrt ein verzweifelter Hans nach Dobbertin zurück: Anja muss wieder ins Heim zurück. Nun vor die Wahl gestellt, zeigt er Charakterstärke: er übernimmt die Verantwortung für seine Tochter und macht Susanne über Sprechfunk einen Heiratsantrag…

„Absage an Viktoria“ nach Eberhard Panitz‘ gleichnamiger Erzählung spannt einen Bogen vom Ende der 1950er Jahre bis in die Siebziger hinein. Bei den Dreharbeiten waren der Regisseur Celino Bleiweiß und seine Hauptdarstellerin Monika Woytowicz ein Paar, beide haben sich nach der Biermann-Ausbürgerung gemeinsam in den Westen abgesetzt. Weshalb der Fernsehfilm nach der Erstausstrahlung im Adlershofer Giftschrank verschwand. Zumal er die Republikflucht ohne propagandistische Schwarz-Weiß-Malerei thematisiert und überhaupt zu den wenigen DDR-Filmen gehört, in denen der Mauerbau und die damit verbundene Teilung quer durch Familien vorkommen.

Regisseur Celino Bleiweiß und sein Kameramann Roland Dressel haben für die in Rückblenden gezeigten nächtlichen Alpträume farbliche Verfremdungen gewählt. Bleiweiß habe überhaupt für DDR-Verhältnisse ausgesprochen experimentierfreudig gearbeitet, so der inzwischen 78-jährige Hanns-Jörn Weber, welcher zur Vorführung am 2. November 2019 innerhalb der Reihe „Im Auftrag des Fernsehens der DDR“ ins Zeughauskino Berlin gekommen war. Im Stil eines Jean-Paul Belmondo sei er seine erste große Filmrolle angegangen. Er verriet, dass Klaus Renft auf Wunsch von Eberhard Panitz die Vertonungen der Lieder Heinrich Heines im Film interpretiert hat. Dabei war dessen Combo 1975 vom SED-Staat als „nicht mehr existent“ eingestuft worden verbunden mit dem Verbot öffentlicher Auftritte.

Pitt Herrmann

Credits

Alle Credits

Titel

  • Originaltitel (DD) Absage an Viktoria

Fassungen

Original

Länge:
3014 m, 106 min
Format:
35mm, 1:1,33
Bild/Ton:
Orwocolor, Ton
Aufführung:

TV-Erstsendung (DD): 20.03.1977, DDR-TV