F.P. 1 antwortet nicht

Deutschland 1932 Spielfilm

"F. P. 1" auf der Insel Oie


Siegfried Kracauer, Frankfurter Zeitung, Nr. 730-732, 30.9.1932


"F. P. 1" liegt nur zum Schein auf der Insel Oie. Bald wird die Insel wieder verödet sein, ohne daß darum die "F. P. 1" im Weltmeer auftauchte, in dem sie von Rechts wegen schwimmen sollte. Dennoch wird man spätestens gegen Jahresende "F. P. 1" überall sehen können; aber die Insel Oie zeigt sich dann nicht mehr mit.

Versteht man diese geheimnisvollen Zusammenhänge? Ich fange noch einmal von vorne an.

Was die Insel Oie betrifft, so existiert sie wirklich. Sie heißt, genau genommen, die Greifswalder Oie und ist vom Ostseebad Göhren auf Rügen aus in einer anderthalbstündigen Dampferfahrt zu erreichen. Eine winzige Insel mit einem Leuchtturm und einem Restaurant. Wer will, kann an einem Vormittag unzählige Mal ihre grüne Fläche umkreisen, die steil ins Meer abfällt. In normalen Zeiten wird das Miniatur-Eiland von 17 Menschen bewohnt.

Jetzt allerdings hat es vorübergehend starken Zuzug erhalten. Matrosen, deren bebänderte Mützen die Inschrift "F. P. 1" tragen, streifen auf der Insel herum, und neben dem roten Leuchtturm erheben sich hohe Gerüste. Hinter ihnen beginnt eine andere Welt. Der Rasen hört auf, und an Stelle des natürlichen Geländes entfaltet sich eine leere, sanft ansteigende Ebene, die aus Eisenplatten besteht. Sie hat einen künstlichen Glanz, schwebt über dem Meeresspiegel und zeichnet sich scharf vom Horizont ab. Begrenzt wird sie von Fragmenten moderner Fassaden, die aber in Wahrheit nur die Vorderseiten der Gerüste sind. Auch der Riesenkran, der einsam in den Himmel ragt, ist nicht das, was er zu sein vorgibt. Echt ist vermutlich nur ein Zelt am Rand der eisernen Plattform, in dem jedenfalls richtiges Bier ausgeschenkt wird.

Zweifellos hat man schon erraten, daß diese ganze Schein-Architektur zu Filmzwecken errichtet worden ist. In der Tat, die Ufa dreht hier große Stücke ihres Films: "F. P. 1 antwortet nicht".

Die rätselhaften Buchstaben, die nicht antworten, sind die Abkürzung für "Flugzeug-Plattform 1". Unter dieser Bezeichnung ist eine künstliche schwimmende Insel zu verstehen, die als Stützpunkt für den transozeanischen Luftverkehr dient. Einstweilen gibt es eine derartige Insel nur in einem Roman von Kurt Siodmak, dem der Ufa-Film den Titel und die offenbar sehr aufregende Spielhandlung entlehnt hat. Aber der Roman ist nicht etwa ein reines Phantasieprodukt, sondern nimmt ein Projekt vorweg, dessen Verwirklichung auf beiden Seiten des Ozeans ernsthaft erwogen wird. A. B. Henninger, ein deutscher Ingenieur, hat ein solches Projekt bis ins kleinste ausgearbeitet. Er sieht ein Flugdeck von 500 Metern Länge und 150 Metern Breite vor, das sich 25 Meter über dem Meeresspiegel befindet und auf einer Reihe von Stempeln ruht, die in die unbewegten Meeresschichten hinabreichen. Die ganze Konstruktion ist an einem Tiefsee-Anker befestigt, um den sie sich je nach der Windrichtung drehen kann.


Da der Insel des Films die Pläne Henningers zugrunde liegen, kommt ihr eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu. Und taucht sie gar erst einmal auf der Leinwand auf, so wird jedermann glauben, daß sie so auch wirklich sei. Man wird Flugzeuge auf ihr landen sehen, im Kommandoturm zu stehen meinen, mit den Passagieren im Hotel einkehren, tief unter der Plattform zwischen den Stempeln hindurchfahren und Schreckensszenen mit erleben, die sich freilich nur bei Siodmak ereignen. Aber alle Romane bleiben hinter dem Leben zurück. Wunderbarer noch als diese künftigen Illusionen sind unter allen Umständen die Vorkehrungen, mit deren Hilfe sie erzielt werden. Die Hotelanlage besteht nur im Modell; von den Stempeln hat man einige aus Blech improvisiert und bei Cuxhaven in die Elbe gesenkt; der rauschende Ozean ist die friedliche Greifswalder Bucht; ein Ausschnitt des Flugdecks, das eigentlich von den Stempeln getragen werden sollte, schmiegt sich dem Rasen der Oie an.

Gerade wird eine dramatische Szene in drei Versionen gedreht. Der Held, ein so kühner wie dämonischer Flieger, erklärt dem Kommandanten von "F. P. 1", daß er die Station zerstört habe (oder zerstören wolle). Natürlich hat ihn eine Frau zu dieser Verzweiflungstat getrieben. Bitter weist der Flieger auf die Dame, die man leider während der Aufnahme nicht sieht, und schickt sich dann an, schlafen zu gehen. "Weck" mich, wenn es soweit ist", sagt er zum Kommandanten, "man geht nicht alle Tage unter auf einer sinkenden F. P. 1." Immer wieder wird die kleine Szene wiederholt, und stets von neuem ertönen die mit tragischer Ironie übersättigten Worte. In der französischen Version wirken sie absichtlich affektiert, in der englischen sind sie das Zeichen männlicher Souveränität.

Wenn in den Berliners Kinos Uraufführungen stattfinden, sind die Eingänge gewöhnlich von einem Haufen begeisterter Leute umlagert, die den Stars zujubeln wollen. Zwei Reihen Schutzleute müssen Lilian Harvey auf dem Weg zu ihrem Wagen behüten, sonst wird sie ein Opfer des Ruhms. Das Übermaß von Seligkeit, das diese jungen Film-Enthusiasten hier auf der Oie empfänden, ist wirklich nicht auszuschöpfen. Denn wer wandelt in stattlicher Naturgröße und prächtigem Fliegerdreß über die Plattform und spricht die Worte: "Man geht nicht alle Tage unter auf einer sinkenden F. P. 1"? Hans Albers persönlich. Um das Glück voll zu machen, ist auch Conrad Veidt zugegen; im selben Fliegerdreß, mit Einglas und Schal. Er ist der englische Sprecher. Einmal sitzen sogar die beiden rein privat in der Kantine zusammen. Es gibt noch Lichtblicke in dieser düsteren Zeit.


Abend für Abend fährt der Dampfer mit den Darstellern und dem technischen Stab nach Göhren zurück. Die falschen Matrosen auf dem Verdeck sehen jetzt vollends wie richtige aus, und Echtheit und Unechtheit fließen merkwürdig ineinander. Das Blau der Ostsee täuscht das Mittelmeer vor, der Mann am Steuerrad muß ein Komparse sein. Göhren selber ist eine einzige Filmdekoration zu einem historischen Film aus der Zeit Kaiser Friedrich III., dessen Bild im Restaurationssaal eines Hotels hängt. Und obwohl die Häuser mit den Holzloggien, die Strandpromenade und die Andenkengeschäfte das Flutdeck und die Gerüste noch lang überdauern werden, wirken sie doch ungleich verschollener als drüben auf der Oie der Schein von "F. P. 1". Bald gehen die Aufnahmen zu Ende. Dann wird Hans Albers verschwinden, der Glanz erlöschen und die Insel mit ihren 17 Menschen verlorener sein als je zuvor.

Siegfried Kracauer: Werke. Band 6. Kleine Schriften zum Film. Herausgegeben von Inka Mülder-Bach. Unter Mitarbeit von Mirjam Wenzel und Sabine Biebl. 3 Teilbände. © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. Alle Rechte vorbehalten. Verwendung mit freundlicher Genehmigung.

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