Nachtarbeiter - Berlin, Herbst 1973

DDR 1973/1974 Kurz-Dokumentarfilm

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Heinz17herne
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Berlin im Herbst 1973. „Die Stadt wird in der Nacht zum schwach beleuchteten Aquarium“ spricht die Kommentarstimme aus dem Off zu bisweilen gar nicht definierbaren Bildern des Kameramannes Michael Zausch. Die werden bald konkreter: der zentrale, mit Hightech vollgestopfte Steuerungsraum des Kraftwerks Klingenberg, das noch teilweise mechanisch betriebene Stellwerk der Reichsbahn, der vollmechanisierte Betrieb einer einst handwerklichen Großbäckerei sowie der gleißende Hochofenabstich eines Stahlwerkes.

Es sind knappe, zielorientierte Dialoge der Arbeiter, die binnen des nur 13-minütigen Kurzfilms kaum einmal von einem kurzen Kommentar unterbrochen werden. Unterlegt sind die stets zwischen den vier Schauplätzen wechselnden Schwarzweiß-Bilder mit nicht eben gewöhnlicher und alles andere als eingängiger Jazz-Musik made in GDR. Harte körperliche Arbeit in der glühenden Hitze des Hochofens steht so neben kühler Routine der Ingenieure in der Kraftwerk-Schaltzentrale, die Schwärze in den Gesichtern der Stahlkocher beim kollektiven Milchtrinken vor dem affirmativen Plakat „Solidarität“ in der Arbeitspause (die einzige längere Kameraeinstellung) kontrastiert mit dem weißen Mehl und den weiß gekleideten Bäckern in der Brotfabrik.

Das künstlerisch stärkste Sequenz des auch vom Regisseur geschnittenen Kurzfilms ist auf der Museumsinsel entstanden: Von antiken Büsten im Bodemuseum schweift der Blick durchs Fenster hinüber ins Pergamon-Museum, als eine S-Bahn durchs Bild rast. Poetisch wie der Beginn ist auch der Schluss – mit auf die S-Bahn wartenden Schichtarbeitern in einem in Morgennebel getauchten Bahnhof.

Wie sein Kollege Jürgen Böttcher nutzt Richard Cohn-Vossen die Arbeitswelt auch als ästhetisches Motiv. Dabei lässt er vor allem Bilder sprechen, hält sich wie in „Nachtarbeiter“ beim selbst verfassten Kommentartext (Sprecher: Wolfgang Ostberg) zurück: seine formalen Überlegungen, hier die genannten Kontraste, sollen für sich selbst sprechen. Damit setzt der gebürtige Zürcher ein mutiges Zeichen gegen den bei der Defa üblichen Vorrang für von der Partei oder anderen Auftraggebern wie dem Fernsehen vorgegebene Texte, die es nur zu bebildern gilt.

Im Gespräch mit Paul Werner Wagner, dem Kurator des nd-Filmclubs, am 27. März 2019 im Berlin-Weißenseer Kino Toni kommt heraus, dass der Regisseur im Vorfeld des Films auch andere Betriebe ins Auge gefasst hatte, bei Bergmann-Borsig aber keine Drehgenehmigung erhielt, da das Werk im unmittelbaren Grenzgebiet zu West-Berlin situiert war. „Nachtarbeiter“ war der erste – und blieb der einzige - Beitrag der geplanten Serie „Berliner Miniaturen“, für die mehrere Defa-Regisseure beauftragt werden sollten, der am 5. Juli 1974 als „Beiprogrammbeitrag“ in den DDR-Kinos anlief. Die wie üblich auf fünf Jahre befristete Zulassung wurde wohl aus politischen Gründen nicht verlängert, wie Jeanpaul Goergen am 9. April 2019 anlässlich einer Vorführung innerhalb der Reihe „Berlin.Dokument“ im Berliner Zeughauskino vermutete: Richard Cohn-Vossen, der 1976 gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert hatte, war 1979 in die Bundesrepublik übergesiedelt.

Pitt Herrmann

Credits

All Credits

Duration:
346 m, 13 min
Format:
35mm
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Erstaufführung (DD): 05.07.1974

Titles

  • Originaltitel (DD) Nachtarbeiter - Berlin, Herbst 1973

Versions

Original

Duration:
346 m, 13 min
Format:
35mm
Video/Audio:
s/w, Ton
Screening:

Erstaufführung (DD): 05.07.1974