Zu Besuch in der Filmstadt

Babelsberg in der Literatur der 1920er Jahre

1922 schrieb der Essayist Walter Muschg in der Neuen Zürcher Zeitung, die Begegnung mit der Filmstadt zwinge dazu, die "letzten Dinge und Fragen einer Epoche schmerzlich grübelnd anzurühren." Diese Feststellung ist symptomatisch für eine Reihe von Journalisten, die in den 1920er Jahren in den Babelsberger Filmstudios ein Sinnbild für die Filmkunst und sogar die gesamte Neuzeit entdeckten.

So beschrieb 1926 der damalige Filmkritiker Siegfried Kracauer in seinem berühmten Aufsatz "Kaliko-Welt" die Ufa-Filmstadt als eine Ansammlung der "Abbilder und Fratzen, die man aus der Zeit gerissen und durcheinander gemischt hat”. Der Baumwollstoff Kaliko, aus dem in Babelsberg tatsächlich viele Kulissen und Requisiten gefertigt wurden, diente Kracauer als Allegorie des schönen und bedeutungsvollen Scheins, auf dessen Rückseite nur das Nichts lauerte. Hier zeigen sich bereits Vorstufen zu Kracauers späteren filmtheoretischen Schriften.

Quelle: BArch, SDK
Szene aus "Der müde Tod"

Zeit und Raum, so Kracauer, wirkten auf dem Studiogelände wie außer Kraft gesetzt: Ein Palast war Muschg zufolge auf der anderen Seite ein Indianerdorf, und beides war, so Kracauer, letztlich "auf Abbruch errichtet". Zudem war die "Kaliko-Welt" eine fragmentierte. Alles war auf den Bildrand zugeschnitten, an dessen Ende man bereits die Arbeiten an neuen Kulissen beobachten konnte. Die Welt wurde zugerichtet auf ihr filmisches Abbild, die Fragmente erst im Schnittraum wieder zu einem dem Zuschauer vertrauten Ganzen zusammengesetzt. Über den Regisseur schrieb Kracauer folgerichtig, er habe "die schwierige Aufgabe, das Bildmaterial, das so schön ungeordnet wie das Leben selber ist, zu jener Einheit zu gestalten, die das Leben der Kunst verdankt".

Ein Babelsberg-Besuch machte es möglich, die Gesetze und Zwänge der Filmproduktion "hinter den Kulissen" selbst zu erleben und auf ganz andere Weise am Kino zu partizipieren. Hatte Urban Gad noch 1921 die Geringschätzung des Films durch die literarische Welt beklagt, so gab es, wie der Medienwissenschaftler Karl Prümm bemerkt, Ende der 1920er bereits eine Art literarische Tradition der Babelsberg-Besuche. Neben Kracauer und Muschg schrieben beispielsweise der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar, der Filmkritiker Willy Hass und der damalige Feuilletonchef des Berliner Tageblatts, Fred Hildenbrandt, über ihre Reisen in die Filmstadt.

Quelle: DIF
"Spione": Fritz Lang (Mitte), Rudolf Klein-Rogge (rechts) bei den Dreharbeiten

Rentable Faszination
Die Ufa jedoch verfolgte mit der Öffnung des Studiogeländes für eine ausgewählte Öffentlichkeit freilich profanere Ziele als die Eröffnung literarischer Diskurse. Vielmehr wurden Journalisten gern zu den Dreharbeiten von besonders spektakulären Szenen eingeladen, damit ihre Berichte der Ufa zu Werbezwecken dienlich waren. Auch Regierungsvertreter wurden nach Babelsberg geladen und auf dem Gelände herumgeführt. So wollte man die guten Beziehungen zwischen Staat und Filmwirtschaft fördern.
Ebenfalls umworben wurden auf diese Weise internationale Größen des Filmgeschäfts.

Bis heute profitiert Babelsberg davon, dass von Filmstudios – zumal von einem so geschichtsträchtigen – eine besondere Faszination ausgeht: in Form von Filmpark, Studiotour und der Vermietung der alten Filmateliers für Events. Die Wurzeln dieser nicht nur ökonomisch bedeutenden Geschäfts- und Standortpolitik sind in den Weimarer Jahren des Studios zu finden.